Rezensionen - Diesen Kuss der ganzen Welt

ostenDr. Manfred Osten, Generalsekretär der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, Leiter der Kulturabteilung der Deutschen Botschaft Tokyo, Vorsitzender der „Gesellschaft der Freunde des Beethovenorchesters Bonn“, freier Forschungs-Journalist für FAZ und TV, 2010 flagge deutschland 30x50

Autorin E. Schuchardt gelingt dieser neue gesellschaftsrelevante Ansatz mit hohem Aktualitätswert: Jedem Leser wird LvBs Leben und Werk paradigmatisch

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Mit Erika Schuchardts Publikation wird die inzwischen nahezu unübersehbar gewordene Beethovenliteratur um einen neuen und außerordentlich wichtigen geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschungsaspekt bereichert. Die Autorin, die sich als Bildungsforscherin anhand von 6.000 Biographien wissenschaftlich intensiv dem Thema Krisenmanagement gewidmet hat, entwickelt im Spannungsfeld vom Heiligenstädter Testament zur Neunten Symphonie ein völlig selbständiges und originelles Modell für die Bewältigung von Lebenskrisen, das Beethovens Leben und Werk als paradigmatisch erscheinen lässt für jeden Leser.
Ihr gelingt dieser neue gesellschaftsrelevante Ansatz mit hohem Aktualitätswert durch einen methodischen Ansatz, der das (schon z.B. bei Hans Albrecht Eggebrecht und Mechthild Fuchs angedeutete) Begriffsfeld der „Überwindung“ bei Beethoven transdisziplinär erweitert durch eine psychologisch, soziologisch und erziehungswissenschaftlich argumentierende Neudeutung des Heiligenstädter Testaments als Dokument einer schicksalhaften Erfahrung des Mangels (beginnende Taubheit und gesellschaftliche Isolation), in welcher die Krise als lebensverändernde und schöpferische Chance verstanden wird. Vor diesem Hintergrund gelingt es Erika Schuchardt, Beethovens Neunte Symphonie mit dem von ihr als Buchtiitel gewählten Zitat einleuchtend zu deuten im Sinne eine r neuen Sinndimension: als die künstlerische Realisation der zentralen Aussage des Heiligenstädter Dokuments, das bereits Maynard Solomon (1979) interpretiert hat als „Wachtraum von Heroismus, Tod und Wiedergeburt“.

Die detaillierte und von Empathie getragene Darstellung der einzelnen Spiralphasen dieser „Wiedergeburt“ im Krisen-Management-Komplementär-Modell ist das eigentliche Novum der Schuchardtschen Publikation. Ich plädiere daher nachdrücklich für Übersetzungen der Publikation, um diese neue Sichtweise auf Leben und Werk Beethovens einem über den deutschen Sprachraum hinaus reichenden Leserkreis zugänglich zu machen.

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Dr. Manfred Osten
Generalsekretär der Alexander-von-Humboldt-Stiftung,
Leiter der Kulturabteilung der Deutschen Botschaft Tokyo,
Vorsitzender der „Gesellschaft der Freunde des Beethovenorchesters Bonn“,
freier Forschungs-Journalist für FAZ und TV, 2010 

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