Christ-Sein

oikoumene

Sich stellen -
Verantwortung leben...

 

Frauen und Männer in der Kirche: Forderung nach Verwirklichung des Diakonats

Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Bad Krozingen 1989
(EKD-Bericht über die 6. Tagung der 7. Synode, S.168–171; 790–808 [Anhang])

 

Stellungnahme zum Schwerpunktthema:
die Gemeinschaft von Frauen
und
Männern in der Kirche

6. Rede zur Forderung eigenständiger Thematik:
"Gemeinschaft von Männern und Frauen in der Kirche –
Forderung nach Verwirklichung des Diakonats"

Synodale Dr. Schuchardt: Herr Präses, liebe Konsynodale! Wenn das Geheimnis zu groß ist, wagt man nicht zu widerstehen. So wie Exupérys kleinem Prinzen ergeht es mir angesichts der offiziellen Entdeckung eines lange verborgen gebliebenen Themas. Erstmalig in der Geschichte der EKD-Synode – zumindest der Nachkriegszeit – liegt uns eine Beschlußvorlage zu dem Thema der Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche auf dem Tisch. Meine erste Reaktion: Es ist ein Grund zur Freude, nach langjähriger Wartezeit und alljährlich wiederholter Antragstellung eine so gelungene, sehr differenzierte Beschlußvorlage diskutieren zu können. Herzlichen Dank dafür! Das ist ein Zeichen der Hoffnung.

Natürlich könnte man das auch in umgekehrter Richtung deuten, nämlich daß es sich um ein viel zu spätes Erwachen der Kirche gehandelt hat, um vertane Chancen zur Zeichensetzung oder zur Schrittmacherfunktion von Kirche. Daß es aber auch noch andere Zeichen der Hoffnung gibt, zeigt das folgende Beispiel. Der Anteil der Frauen in der soeben gewählten Hannoverschen Landessynode ist von zuvor 25 % auf 37 % gestiegen, und dies im übrigen – das würde auch meinem Ideal entsprechen – ohne Quotenregelung (denn wer möchte schon eine Quotenfrau sein?). Vielmehr hoffe ich – ich vertraue darauf –, daß es das Ergebnis eines lange andauernden Prozesses wechselseitigen Lernens war.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einen interessanten und nachdenklich machenden Vergleich bringen, und zwar zwischen Reichstag und Bundestag. Hier, im Bundestag, erhöhte sich der Anteil der Frauen im Jahr 1987 auf 15,4 %. Die Hauptursache dafür lag jedoch in dem mit 57 % überdurchschnittlich hohen Anteil der Frauen in der Fraktion der Grünen. Sieht man von diesem erhöhten Anteil ab, reduziert sich der Frauenanteil wieder auf traditionell 8 %, was sogar 2 % weniger wäre als 1983, und das, obwohl bereits der Deutsche Reichstag im Jahr 1919 schon 9,6 % weibliche Abgeordnete hatte. Dieser Anteil ist also erst zwei Generationen später, nämlich im Jahr 1983, wieder erreicht worden. Insofern kann auch diese EKD-Synode noch eine Schrittmacherfunktion wahrnehmen!

Unsere gemeinsame Initiative ermutigt mich somit auch dazu, um eine Ergänzung der Beschlußvorlage zu bitten, nämlich auf eine Gruppe von Frauen im kirchlichen Bereich zu sprechen zu kommen, die leider noch immer außerhalb der Kirche steht, und die Aufmerksamkeit der Synode auf sie zu lenken. Gemeint sind die Mitglieder der evangelischen Schwesternschaften. Auf sie trifft im besonderen Maße zu, was Mahatma Gandhi zugeschrieben wird: Wenn Geduld die Verhaltensweise der Zukunft ist, dann gehört die Zukunft den Frauen.

Aber die Verhältnisse sind nicht so. Träfe nämlich Gandhis Voraussage zu, so müßte schon die Vergangenheit jenen Frauen gehören, die die Kirchengeschichte in den letzten 150 Jahren de facto ganz entscheidend geprägt haben, die aber bis heute de iure noch nicht einmal Teil der offiziellen Kirche sind und, was mich besonders berührt, auch in der Beschlußvorlage ausgespart blieben. Die Gründe dafür will ich hier beiseite lassen und sogleich zu den konstruktiven Schritten kommen.

Vorab noch etwas zur Situation! Lassen wir zunächst einmal Kinder sprechen! Sie sagen zu diesen Frauen: Du kommst von der Kirche, du kommst vom lieben Gott. Oder die Kinder bitten diese Frauen: Sage es doch nachher einmal dem lieben Gott; du siehst ihn doch später in der Kirche wieder! Kindermund tut bekanntlich Wahrheit kund. Die Kinder sehen die Frauen in der Kirche. Aber die Frauen unserer evangelischen Schwesternschaften stehen noch heute außerhalb der Kirche.

Für mich gibt es nur eine Schlußfolgerung, nämlich die uns vorgelegte Beschlußvorlage um ein wichtiges Anliegen zu erweitern. Ich sehe mich darin bestärkt und unterstützt durch den uns vorliegenden Bericht des Diakonischen Werkes der EKD von Präsident Neukamm. Dort heißt es auf Seite 12 in Absatz 2 unter dem Kapitel Erfahrungen und Erinnerungen:

Es ist weithin immer noch die Schwester, die die Glaubwürdigkeit der Kirche nach außen repräsentiert. Es ist deshalb folgerichtig, wenn die Schwestemschaften und Bruderschaften die Bitte um die Beauftragung zum Diakonat an unsere Kirchen richten und sich eine Übereinkunft über Form und Inhalt dieses Diakonats wünschen. Dies wäre der sichtbare Ausdruck dafür, daß es in unseren Kirchen nicht nur für einzelne, sondern auch für Gruppen und Gemeinschaften ein Leben für Christus gibt. Die Kirche kann auf eine reiche Erfahrung mit verbindlichen Dienstgemeinschaften zurückgreifen.

Ich glaube wirklich, daß diese Synode jetzt zum Handeln aufgefordert ist. Deshalb beantrage ich die Aufnahme folgenden Antrags in die Beschlußvorlage:

In Kapitel 7.3 der Beschlußvorlage Frauenförderung in Kirche und Diakonie hinter dem Unterabschnitt Ämter auf Zeit und Rotation als zusätzliche Maßnahme vorzusehen:

Verwirklichung des Diakonats.

Der Abschnitt sollte beginnen mit der üblichen kurzen Darstellung der Notwendigkeit – einen vorbereiteten kurzen Text lege ich als Anlage bei – und sodann einmünden in die Empfehlung folgender Schritte:

Es ist ein neuer Ausschuß zu bilden oder ein bestehender Ausschuß mit dem Auftrag zu versehen, unter Beteiligung der Schwesternschaften und diakonischer Mitarbeiter über deren Situation in der Kirche zu beraten mit dem Ziel, die Leitlinien zum Diakonat von 1975 umzusetzen, ein diakonisches Amt wie auch im Lima-Papier von 1986 empfohlen einzuführen, dieses kirchliche Amt auch agendarisch zu verankern und die Fort- und Weiterbildung der Schwesternschaften und diakonischen Mitarbeiter in Kooperation mit der Kirche zu gewährleisten.

Ich danke Ihnen.

Deutlich artikuliert Frau Oberin Klütz dieses Leiden aller evangelischen Schwesternschaften an dieser mangelnden Anerkennung durch Kirche, wenn sie in den uns zugeschickten Materialien zur Vorbereitung der EKD-Synode auf Seite 46 folgendes schreibt:

Die Angehörigen aller evangelischen Schwesternschaften leiden darunter, daß sie ihren Dienst als Diakonie im Auftrag des Herrn der Kirche verstehen, daß die Institution Kirche aber nur wenig hierzu zu sagen weiß. Den Dienst nimmt sie bereitwillig an, aber Hilfestellungen – theologisch-geistliche Aussagen zu diesem Dienst – finden sich nur sehr selten.

Sie fordert die Anerkennung dieses Dienstes der Schwesternschaft als kirchlichen Dienst. In der Spalte 2 auf Seite 46 heißt es:

Wenn die Kirche aber auch in Zukunft den Dienst von Diakonissen und evangelischen Schwesternschaften erwartet und haben will, dann muß sie die Strukturen der Schwesternschaften nicht nur kritisch betrachten, sondern diesen Dienst als ihren Dienst ansehen und die notwendige Hilfe leisten.

Pointiert schrieb dazu schon zwei Jahre zuvor, 1987, die stellvertretende Oberin Hanna Lachenmann unter dem Titel "Diakonie – ein Amt ohne Anerkennung":

"Die seit 150 Jahren gelebte Wirklichkeit hat bis heute keine kirchenrechtliche Gestalt gefunden. Die Einsegnung zum Diakonissenamt geschieht durch den Vorsteher des Hauses nicht im Auftrag der Kirchenleitung, sondern der Mutterhausleitung. Die Leitlinien zum Diakonat 1975 wurden weder von den Diakonissenhäusern noch von den Kirchenleitungen weiterverfolgt. Das Lima-Papier hat die Gespräche über das Diakonissenamt wieder angeregt, doch scheint das Interesse nicht besonders groß zu sein. Wenn aber Diakonie Lebens- und Wesensäußerung der Kirche ist, dann sollten Frauen, die vom Herrn der Kirche berufen und zur Diakonie als Lebensaufgabe, auch als Trägerin des diakonischen Amtes der Kirche anerkannt werden."

Aufgrund eigener Erkenntnisse darf ich aus 10jähriger Arbeit an unserer Schwesternschaftsstudie"Schwestern finden Schwestern – Auszug aus einem Vorurteil" erklären, daß ich diese von zwei Oberinnen erhobene uralte Forderung nachdrücklich unterstütze, ja sie für zwingend notwendig halte.


 

Ein Ergebnis der Reden:

BESCHLUSS
der 7. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland
auf ihrer 6. Tagung
zum
Schwerpunktthema der Synode
"Die Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche"

Die Synode der EKD bittet den Rat der EKD, den folgenden Beschluß zum Schwerpunktthema Die Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche den Gliedkirchen mit der Bitte um Weitergabe an die Gemeinden, Dienste und Einrichtungen zu übersenden:

Die Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche

Einleitung

1. Sozialer Wandel

2. Frauenbewegung

3. Frauen und Männer in der Kirche

4. Impulse feministischer Bibelauslegung

5. Ökumenischer Zusammenhang

6. Herausforderungen und Perspektiven

7. Praktische Schritte

7.1. Förderung theologischer Frauenforschung

7.2 Hilfen für Frauen unter besonderen Belastungen

7.3 Frauenförderung in Kirche und Diakonie

7.4. Verbesserung der ökumenischen Zusammenarbeit

Einleitung

In den Beziehungen zwischen Frauen und Männern zeigen sich in unserer Gesellschaft und weltweit in den letzten Jahrzehnten tiefgreifende Veränderungen. Diese vollziehen sich auch in den Kirchen. Die Synode der EKD hat sich auf ihrer Tagung vom 5. bis 10. November 1989 dem Schwerpunktthema "Die Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche" gewidmet. Sie fragt nach Konsequenzen für das kirchliche Selbstverständnis und für das kirchliche Handeln. Dabei knüpfte sie an die 1979 veröffentlichte EKD-Studie "Die Frau in Familie, Kirche und Gesellschaft" sowie frühere Verhandlungen an, insbesondere auf der 7. Tagung der 6. Synode in Lübeck–Travemünde 1984 und in mehreren Landessynoden der Gliedkirchen der EKD. Ihr spezifisches Thema "Die Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche" verdankt die Synode dem Studienprogramm des Ökumenischen Rates der Kirchen zwischen 1974 und 1981, das als Sheffield–Report 1985 in Deutsch dokumentiert worden ist (vgl. auch Abschnitt D, 18 im Amtsteil des Limapapieres "Taufe, Abendmahl und Amt" 5. A. 1983, S. 35 f.).

In anderen Bereichen der Gesellschaft, z.B. in den politischen Parteien, in den Kommunen, in den Gewerkschaften, in der Industrie werden bereits unter dem Stichwort Frauenpolitik konkrete Maßnahmen, wie Frauenförderpläne, Quotierung, die Einrichtung von Frauenleitstellen und die Berufung von Frauen-Beauftragten diskutiert und durchgeführt.

Was bedeutet es, daß in der Kirche die Diskussion unter dem Leitgedanken der Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche geführt wird? Gemeinschaft ist ein zentraler biblischer Begriff, der die gleiche Teilhabe an der Zuwendung Gottes meint. Die Gemeinschaft, die Gott mit den Menschen gesucht hat, stiftet Gemeinschaft unter den Menschen, zwischen Frauen und Männern, und damit Gleichheit in der Verschiedenheit. Schon in der Schöpfung sind Frau und Mann gemeinsam dazu bestimmt, die Erde zu gestalten (l. Mose 1, 27 f.). Im Bund Gottes mit seinem Volk Israel soll allen Unterdrückten und Schwachen Recht und Gerechtigkeit widerfahren, auch den Frauen. In der urchristlichen Taufverkündigung wird Frauen und Männern das Einssein in Christus (Gal. 3, 28) und damit Befreiung, Ebenbürtigkeit und gleiche Würde zugesichert. Der Heilige Geist, aus dem die Gemeinschaft in der Kirche lebt, ist über Männer und Frauen in gleicher Weise ausgegossen (Apg. 2, 16–18).

Die biblische Sicht von Gemeinschaft ist unserer Wirklichkeit immer voraus. Dankbar empfangen wir zwar Zeichen gottgegebener Gemeinschaft, die Diskrepanz zwischen der geglaubten Gemeinschaft in der Kirche und der Situation, in der wir leben, ist aber unübersehbar. Wir dürfen uns nicht damit begnügen, solche Diskrepanz nur festzustellen und im übrigen alles beim alten zu lassen. Vielmehr gilt es, im Lichte der Verheißung Schritte zu tun, die heute Kirche als Gemeinschaft von Frauen und Männern erfahren lassen. Noch bestimmt die Vorherrschaft von Männern gegenüber Frauen weitgehend das Bild in unserer Kirche. Zur Überwindung dieser Vorherrschaft kann die Kirche aus der gesellschaftlichen Diskussion entscheidende Impulse empfangen. Hier gilt es, aus der öffentlichen Diskussion über Menschenrechte, Emanzipation und Demokratie zu lernen.

Wir wollen, daß Wirklichkeit, Erfahrungen und Fähigkeiten von Frauen in Kirche und Theologie künftig ebenso zur Geltung kommen wie die von Männern. Die gleiche geistliche Begabung von Männern und Frauen muß im Leben der Kirche anschaulich werden und im Gemeindeaufbau zum Ausdruck kommen. Frauen und Männer sollen einander ergänzen und sich wechselseitig bereichern (Röm. 12, 2 ff.; 1. Kor. 12, 12 ff.). So können wir dem Schöpferwillen Gottes und dem Liebesgebot Christi folgen (Joh. 13, 34; Gal. 6, 2).

Gott hat Männer und Frauen mit verschiedenen, sich ergänzenden Gaben beschenkt und zur Gemeinschaft berufen. Es gilt, ein für alle Menschen mögliches Maß an Freiheit und Gleichheit zu finden, nach dem Männer und Frauen sich als zwar voneinander unterschiedene, aber gleichwertige und gleichberechtigte Menschen erkennen und anerkennen können. Ein Leben in neuer Gemeinschaft heißt dann, daß beide gleiche Lebens– und Entfaltungschancen haben, in Ehe, Familie und Partnerschaft, im beruflichen Leben, in Wirtschaft und Politik, in Kirche und Wissenschaft, überall in Gesellschaft und Kultur.

1. Sozialer Wandel
Unsere Kultur ist patriarchalisch geprägt. Vorwiegend nehmen Männer bis heute in den zentralen Bereichen des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Lebens die führende Stellung ein. Die Vorstellungen vorn Wesen und von der Aufgabe der Frau sind weithin von Männern entworfen, formuliert und in das gesellschaftliche Bewußtsein – auch der Frauen – eingepflanzt worden. Solche Wesenszuschreibung festigte jene bisherige Ordnung zwischen den Geschlechtern, die auf einer geschlechtsspezifischen Arbeits- und Rollenteilung in Familie und Beruf, in Kirche, Gesellschaft und Politik beruht.

Erst mit der europäischen Aufklärung setzte ein Prozeß der Emanzipation von Abhängigkeit und Unterdrückung ein, der in der französischen Revolution auf die Formel Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit gebracht wurde. Obwohl zunächst nur die Befreiung aus feudalen und klerikalen Abhängigkeiten im Blick war, führten die Ideen der Aufklärung von Menschenrecht und Menschenwürde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch zu Emanzipationsbestrebungen der Frauen. Bis ins 19. Jahrhundert hinein waren Frauen in überwiegend agrarischen Verhältnissen an der Daseinssicherung beteiligt und genossen damit auch im patriarchalischen System eine gewisse Selbständigkeit. Im Zuge der Auflösung der Agrargesellschaft und der Herausbildung des Proletariats verschlechterten sich die Lebensbedingungen der Masse der Menschen. Unter den menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in den entstehenden Fabriken hatten besonders Frauen und Kinder der Arbeiterklasse zu leiden. Sie mußten die grobe Ungleichbehandlung gegenüber Männern und geringere Bezahlung bei gleicher Arbeit und die Unterdrückung in der Familie ertragen.

Im Bürgertum entwickelte sich das Ideal der bürgerlichen Familie, in der der Mann das Geld verdient, die Frau den Haushalt und Mann und Kinder versorgt. Diese Beschränkung der Frau auf den Privatbereich verstärkte ihre Abhängigkeit vom Mann. Zugleich bahnte sich allerdings seit der Romantik auch eine eigenständige Rolle der Frau im kulturellen Bereich an. Zunehmend kämpften Frauen um ihnen verschlossene Bildungsmöglichkeiten und die Gleichheit vor dem Gesetz.

In den letzten Jahrzehnten haben sich die Lebensbedingungen der Frauen durch die fortschreitende Industrialisierung, die einen gewisser, materiellen Wohlstand und relative soziale Sicherheit ermöglichte, erheblich verbessert. Die verringerte Kindersterblichkeit, niedrigere Geburtenzahlen und eine gestiegene Lebenserwartung haben den Frauen Freiräume eröffnet. Das Bildungsniveau der Bevölkerung insgesamt ist gestiegen: Die Bildungs- und Ausbildungschancen der Frauen nähern sich denen der Männer an. Die zunehmende Erwerbstätigkeit hat für viele Frauen zu wirtschaftlicher und sozialer Unabhängigkeit vom Mann geführt.

Mit solchen Veränderungen gehen Wandlungen gewohnter Lebensformen einher. Es hat sich eine Vielzahl von Lebensentwürfen entwickelt. Obwohl das Rollenbild der bürgerlichen Familie nach wie vor wirksam ist, sind alternativ zur traditionellen Familie vielfältige und unterschiedliche Formen des Zusammenlebens entstanden. Auch das Alleinleben wird bewußt als befriedigende Lebensform gewählt. Die neuen Lebensformen müssen als Ergebnisse wirtschaftlichen und sozialen Wandels und als Bestandteile neuer gesellschaftlicher Wirklichkeit ernst genommen werden.

Während sich diese historischen Prozesse auf den Status der Frauen in Europa und den USA eher positiv ausgewirkt haben, führte die mit der Industrialisierung der westlichen Welt einher gehende Ausbeutung der Dritten Welt zur Zerstörung der dortigen sozialen Systeme, die auf dem Zusammenhang der Großfamilie aufbauten. Heute stellen Frauen dort die billigen Arbeitskräfte in den Fabriken, die für uns billige Konsumgüter herstellen. Zahlreiche Frauen werden – auch gefördert durch den Ferntourismus – zum Beispiel als Prostituierte ausgebeutet oder gar selbst als solche nach Europa exportiert.

Trotz erweiterter Möglichkeiten und rechtlicher Gleichstellung in den meisten Bereichen ist die faktische Gleichstellung der Frau auch bei uns noch keineswegs verwirklicht. Die alten Ordnungszusammenhänge werden an einem Punkt besonders nachdrücklich in Frage gestellt: Bei der Verteilung von Mitgestaltungs- und Leitungschancen zwischen Frauen und Männern. In leitenden öffentlichen Funktionen und in wirtschaftlichen Führungspositionen sind Frauen kaum vertreten. Durch Mutterschaft und Familienpflege erfahren Frauen in ihrer beruflichen Entfaltung Nachteile, die durch geeignete gesellschaftliche Regelungen vermieden werden könnten. In den unterprivilegierten gesellschaftlichen Gruppen (z.B. Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger) sind Frauen in der Überzahl. Zum Teil haben Frauen sich freilich an ihre gesellschaftliche Unterlegenheit so sehr gewöhnt, daß sie sie hinnehmen und sich nicht gegen sie wehren. Anders ist es für Frauen, die sich bewußt und gern dafür entscheiden, den Schwerpunkt ihres Lebens in der Familie zu setzen. Sie dürfen ebensowenig diskriminiert werden wie die unverheirateten (alleinlebenden) Frauen, die in ihrem Beruf die gleichen Chancen haben möchten wie Männer. Ein bis heute unauflöslicher Konflikt ergibt sich für die Frauen, die Kindererziehung mit beruflicher Entfaltung verbinden. Hier sollten Erleichterungen für Frauen geschaffen werden.

Von Veränderungen in Gesellschaft und Kultur sind Männer und Frauen betroffen; aber einstweilen sind deren Auswirkungen auf Lebenssituation und Identitätsbewußtsein von Frauen noch stärker als auf das von Männern. Ungleichheit und Ungerechtigkeit werden gerade von Frauen immer weniger hingenommen. Widersprüche zwischen der Gleichheitszusage und realen Ungleichheiten in unserer Gesellschaft treten immer schärfer zutage. Zugleich wirken alte Lebensgewohnheiten, Vorurteile, überkommene Machtstrukturen und Gedankenlosigkeit bis heute fort und erschweren die Verwirklichung einer partnerschaftlichen Gesellschaft.

2. Frauenbewegung

Die Bewegung der Frauen galt dem Einlösen eines Versprechens von Freiheit und Gleichheit, das die bürgerliche Gesellschaft begründet. Die bürgerliche Frauenbewegung vollzog ihre Emanzipation aus patriarchalischer Bevormundung vornehmlich mit Hilfe von Bildungsbestrebungen. Die proletarische Frauenbewegung hat aufgrund der schlechten Lebensbedingungen der Arbeiterinnen und ihrer Kinder sowie der groben Ungleichbehandlung bei der Entlohnung ihrer Arbeit das Ziel der rechtlichen Gleichstellung der Frauen mit dem der Befreiung der Arbeiterklasse aus wirtschaftlicher und politischer Unterdrückung verknüpft. Die neue Frauenbewegung hat die bisherige Form der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern und die trotz formaler Gleichberechtigung anhaltende soziale Ungleichheit entschiedener in Frage gestellt sowie die physische und strukturelle Gewalt gegen Frauen zur Sprache gebracht. Die Erfahrung der physischen, sozialen und psychischen Schäden und Gefahren, die mit dem wissenschaftlich–technischen Fortschritt einhergehen, hat sie darüber hinaus zu einer umfassenden Zivilisationskritik und zu einer vertieften Auseinandersetzung über männliche und weibliche Weisen des Umgangs mit Mensch und Natur geführt.

Kirche und Theologie in Deutschland haben zur Frauenbewegung trotz ihrer aufklärerischen emanzipatorischen Motive, die sich auch aus christlichen Wurzeln speisen, über lange Zeit kein positives Verhältnis gefunden. Die EKD-Studie von 1979 deutet vorsichtig eine veränderte Sichtweise an, indem sie feststellt, daß die Frauenbewegung nicht nur negativ zu sehen sei. Inzwischen ist das Bewußtsein in den Kirchen gewachsen, daß z.B. der Weg von Frauen ins Pfarramt, die feministische Theologie und die Diskussion um die Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche wesentlich auf die Anstrengungen und Ergebnisse der Frauenbewegungen, der alten wie der neuen, zurückgehen. Die neue Frauenbewegung wird zunehmend als Teil und Bündnispartnerin der neuen sozialen Bewegungen anerkannt, die sich für Frieden, Gerechtigkeit, den gewaltfreien und lebenserhaltenden Umgang mit der Schöpfung einsetzen.

3. Frauen und Männer In der Kirche

Unterschiedliche Lebenssituationen und veränderte Einstellungen zum Miteinander von Frauen und Männern wirken in die Kirche hinein. Die enge Verbundenheit von Frauen mit der Kirche und ihre Freude an ehrenamtlicher Arbeit stehen dicht neben Ärger und Verletztheit über die Nichtbeachtung von Frauenarbeit und Frauenerfahrung und über das Festhalten an überkommener Aufgabenteilung zwischen Männern und Frauen. Am kirchlichen Leben, am Abendmahl, an Gottesdiensten, Gruppen und Kreisen nehmen Frauen häufiger teil als Männer; die ehrenamtliche Arbeit an der kirchlichen Basis wird zu 70 % bis 80 % von Frauen getragen; etwa 70 % der in Kirche und Diakonie hauptamtlich Arbeitenden sind Frauen. Die Leitungsfunktionen aber werden überwiegend von Männern ausgeübt. Wenn Frauen heute Leitungsfunktionen übernehmen, muß vermieden werden, daß sie in eine doppelte Isolierung geraten: daß Männer sie nicht anerkennen und Frauen sich von ihnen abwenden. Frauen und immer mehr Männer setzen sich dafür ein, die aus der Geschichte nachwirkenden Ungleichheiten und Mißverhältnisse von Beteiligung und Leitung zu überwinden. Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche erfordert die gemeinsame Teilhabe an allen Aufgaben und damit auch an den Leitungsfunktionen der Kirche. Frauen, die an der kirchlichen Basis arbeiten, wollen in den Entscheidungsprozessen vertreten und beteiligt sein. Die verstärkte Mitwirkung von Frauen in kirchlichen Leitungsfunktionen kann helfen, hierarchische Strukturen in der Kirche abzubauen, und daran erinnern, daß gerade in der Gemeinde Jesu Christi kritischer Maßstab für die von Männern oder Frauen ausgeübte Macht nicht das Herrschen übereinander, sondern der gegenseitige Dienst ist.

Die Forderung zur Unterordnung der Frau unter den Mann in Ehe und Familie wurde gerade auch mit der biblischen Überlieferung begründet. Das geschah nach unserer Überzeugung nicht zu Recht. Eine auf Gerechtigkeit angelegte Partnerschaft zwischen Mann und Frau entspricht – so erkennen wir heute – dem biblischen Zeugnis. Ihm entspricht, wenn Frauen sich bewußt für die Aufgabe der Mutter entscheiden oder die Versorgung der Familie als ihre Lebensaufgabe begreifen. Ihm entspricht ebenso, wenn Frauen – in gemeinsamer Verantwortung mit den Männern bei der Aufgabe der Erziehung der Kinder – Berufstätigkeit und Familie verbinden wollen oder im Beruf einen wichtigen Teil ihrer Lebensaufgabe begreifen. Das alleinige Leitbild der Frau als Ehefrau und Mutter wirkt einengend und ausgrenzend auf eine zunehmende Zahl von Frauen, die diesem Bild nicht entsprechen, auch von Männern. Auch Alleinerziehende und Alleinlebende sollten in der Predigt und im gemeindlichen Leben gewürdigt werden.

Auf dem Weg zu einer Gemeinschaft zwischen Frauen und Männern in der Kirche befinden sich sowohl Männer als auch Frauen jeweils an unterschiedlichen Orten. Viele Frauen wenden sich ab, wenn sie in biblischer, liturgischer und gottesdienstlicher Sprache nicht vorkommen; sie sind darüber zunehmend verärgert. Andere Frauen fühlen sich in der gottesdienstlichen und kirchlichen Sprache durchaus aufgehoben. Auch die Abhängigkeit der Frauen von Entscheidungen durch Männer in Leitungsfunktionen oder die mangelnde Beachtung der Arbeit und der besonderen Möglichkeiten der Frauen werden von diesen unterschiedlich empfunden. Die verschiedenen Wahrnehmungen und Bewußtseinslagen von Frauen führen zu Spannungen und Konflikten. Diese Konflikte müssen angenommen und bearbeitet werden. Gerechtigkeit gegenüber Frauen erfordert ihre Einbeziehung in alle kirchlichen Bereiche, eine neue Verteilung von Aufgaben und Zuständigkeiten für Männer und Frauen und eine frauengerechte Sprache.

4. Impulse feministischer Bibelauslegung

Die Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche ist durch Gottes Handeln gegeben. Gott schuf den Menschen als Frau und Mann, beide in gleicher Weise als sein Ebenbild (l. Mose 1). In der urchristlichen Taufverkündigung wird Mann und Frau das Einssein in Christus als der Beginn und das Ziel einer neuen Gemeinschaft zugesagt.

Als feministische Theologie bezeichnet sich die theologische Arbeit, die bewußt aus der Perspektive von Frauen betrieben wird. Ihre Ansätze und Zielvorstellungen sind sehr unterschiedlich und z.T. umstritten. Ihre Methoden knüpfen einerseits an traditionelle theologische Arbeit an, andererseits stellen sie eine Ergänzung und Korrektur dar. Gemeinsam ist ihnen die Erforschung der Auslegung der Bibel und des theologischen Denkens im Verlauf der Kirchengeschichte, die stark durch männliche Sichtweise geprägt sind. Erforscht wird, inwieweit die Benachteiligung und Unterdrückung der Frau in Kirche und Gesellschaft jahrhundertelang theologisch gerechtfertigt und als Ausdruck göttlichen Willens ausgegeben wurde. Darüber hinaus gibt sie Impulse für alle Bereiche theologischer Arbeit und kirchlicher Praxis.

Feministische Bibelinterpretation und Hermeneutik hat einerseits den Zusammenhang von männlicher Bibelauslegung und Zurückdrängung der Frauen offengelegt. Ein Beispiel dafür ist die Auslegung der Erschaffung der Frau aus der Rippe Adams (l. Mose 2). Andererseits unterstreicht sie die Botschaft von der Befreiung in den biblischen Schriften: Am Anfang der Geschichte des Volkes Israel steht die Befreiung aus Unterdrückung und Sklaverei. Die Begegnung mit Jesus befreit von Schuld und Abhängigkeit und setzt ein Verhältnis zwischen Menschen, in dem es keine Ungleichheit mehr gibt (Mk. 7, 24–30; 10, 35–45, Gal. 3, 28). Aus dieser Tradition, die Menschen befreit und gleichstellt, wird der Wert der Frau neu beleuchtet und an einzelnen Frauengestalten in der Geschichte des Volkes Israel und in den Anfängen der christlichen Gemeinden beispielhaft verdeutlicht. Frauen haben Jesus begleitet wie Jünger (Luk. 8, 2 f.). In den urchristlichen Gemeinden haben Frauen zum Teil führende Rollen als Vorsteherinnen von Hausgemeinden und in der Mission gespielt (vgl. Euodia und Syntyche, Phil. 4, 2 f., Priscilla, Apg. 18, 26; Phöbe, Röm. 16, 1; Junia; Röm. 16, 7).

Ganzheitliche Aspekte im Gottesbild werden hervorgekehrt; Gott ist personales Gegenüber zum Menschen (2. Mose 3, 14), Gott begegnet als Du, das in weiblicher und männlicher Form symbolhaft beschrieben werden kann. (Gott tröstet, wie einen seine Mutter tröstet, Jes. 66, 13; unsere Augen sehen auf den Herrn, wie die Augen der Magd auf die Hände ihrer Frau, Ps. 123, 2; Gott gibt Schutz wie eine Henne unter ihren Flügeln, Mt. 23, 37 par, vgl. Rut 2, 12, Ps. 17, 8.)

Aspekte feministischer Theologie sind in der Gemeinde-, Frauen- und Bibelarbeit der Kirche lebendig: Im Zugang zu biblischen Texten werden Frauengestalten und Erzählzusammenhänge wieder entdeckt, die Identifikation ermöglichen und alternative Frauenrollen bieten. Sie werden auch mit eigener Erfahrung erschlossen.

Manche Theologinnen entwerfen ihre Theologie als Naturreligion und stellen sich damit in einen bewußten Gegensatz zum Offenbarungsglauben des Alten und Neuen Testamentes. Während Extrempositionen über den Rahmen evangelischer Theologie hinausgehen (z.B. wenn heutige Erfahrungen von Frauen als neue Offenbarungen Gottes ausgegeben werden), hilft die feministische Bibelauslegung im allgemeinen zu der Einsicht, daß Frauen und Männer vor Gott gleich sind und in gleichberechtigter Partnerschaft leben sollen. In der Orientierung an der Schrift können wir zu keiner anderen Einsicht gelangen: Die Botschaft von der Rechtfertigung des gottabgewandten Menschen durch Gottes liebende Zuwendung in der Geschichte Israels und in Jesus Christus ist die Mitte der Schrift. Indem Mann und Frau in gleicher Weise durch Christus mit Gott versöhnt sind, ist eine neue Gemeinschaft zwischen ihnen gestiftet, jenseits des Geschlechtsunterschiedes: Unter den Getauften gibt es weder männlich noch weiblich (Gal. 3, 27 f.). Damit werden zwar die Unterschiede zwischen Männern und Frauen nicht aufgehoben: In der Kirche als dem Leib Christi werden vielmehr Unterschiede als gleichwertige Gnadengaben in den Dienst des Ganzen gestellt. Herrschaftsverhältnisse werden von hier aus aufgebrochen.

5. Ökumenischer Zusammenhang

Auf dem Wege zu einer neuen Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche sind wir verbunden mit Christinnen und Christen aller Konfessionen und Kontinente. Diese Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche ist ein grundlegendes Thema der ökumenischen Bewegung, das an die Wurzeln der christlichen Gemeinschaft in den Gliedkirchen und der Kirchen untereinander rührt. Es geht dabei um die Erneuerung des ganzen Leibes Christi, seiner Kirche.

Dies wird im ökumenischen Gespräch theologisch entfaltet, zum Beispiel in der Auslegung der Bibel, im Sakraments- und Amtsverständnis (Ordination von Frauen, Diakonat), in der Frage des spirituellen Beitrags der Frauen zum Leben ihrer Kirchen und nicht zuletzt in der Mariologie. Von daher ergeben sich gegenseitige Anfragen an die Rolle der Frauen, die die Kirchen überall an der Basis tragen, aber von Leitungsfunktionen weitgehend ausgeschlossen sind. Dabei geht es auch um den verstärkten Einsatz der Kirchen für die Frauen, die in vielen Gesellschaften aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Rasse und ihrer Zugehörigkeit zu einer untergeordneten Klasse besonders benachteiligt sind. Die Dekade des Ökumenisehen Rates Solidarität der Kirchen mit den Frauen ist ein Ausdruck der weltweiten Dringlichkeit dieser Fragen.

Der ökumenische Austausch über die Grenzen der Kulturen hinweg ist gerade unter Frauen besonders lebendig, bis hinein in örtliche Gruppen. Das kommt vor allem im Weltgebetstag zum Ausdruck; aber auch ökumenische Netzwerke, wie das Ökumenische Forum Christlicher Frauen in Europa, die Europäische Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen, Frauen im Konziliaren Prozeß und zahlreiche internationale Partnerschaften zwischen Frauengruppen sind dafür ein sichtbares Zeichen. Ökumenisches Lernen, ökumenisches Miteinanderteilen und eine reiche Spiritualität in ökumenischen Gottesdiensten werden hier von Frauen erfahren, die wiederum starke Impulse für das theologische Denken und für das geistliche Leben in die Kirchen hinein vermitteln.

Wenn wir nach einer partnerschaftlichen Gemeinschaft von Frauen und Männern suchen, können wir nicht absehen von den weltweiten Problemen, in die hinein wir verflochten sind. Die Synode der EKD hat 1986 zum Schwerpunktthema Kirchlicher Entwicklungsdienst festgestellt, daß die wirtschaftliche und soziale Situation vieler Entwicklungsländer sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch zugespitzt hat. Diese Verschlechterung trifft die Frauen besonders hart. Auch die Strukturanpassungsprogramme der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds wirken sich besonders nachteilig auf die Frauen und Kinder der ärmeren Bevölkerungsschichten aus, insbesondere durch Kürzung öffentlicher Ausgaben für Gesundheit und Bildung sowie Verteuerung von Grundnahrungsmitteln. Nach der bestehenden Arbeitsteilung sind es überwiegend die Frauen, die für die Überlebenssicherung der Familien zuständig sind. Daher sind sie es vor allem, die diese Kürzungen und Preissteigerungen im Bereich des Grundbedarfs durch Mehrarbeit ausgleichen müssen. Die bisherigen Entwicklungskonzepte haben häufig die tatsächlichen Leistungen der Frauen verkannt und daher wenig zur Verbesserung des gesellschaftlichen Status, der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Frauen beitragen können. In vielen Regionen hat sich ihre Lage in den letzten Jahren weiter verschlechtert. So bewirkte beispielsweise die Einführung moderner exportorientierter Landwirtschaft, in die fast ausschließlich Männer einbezogen waren, in zahlreichen Ländern Asiens und Afrikas eine Verdrängung der Nahrungsmittel anbauenden Frauen. Gleichzeitig wurden sie einer zusätzlichen Arbeitsbelastung ausgesetzt, da sie den Männern bei der Produktion der Exportfrüchte helfen mußten.

Gerade in der sich verschärfenden Weltentwicklungskrise sehen wir deutlich, welches Potential die Frauen und ihre Selbsthilfebewegung bilden, um das Überleben zu sichern und Widerstand gegen die völlige Zerstörung der Lebensgrundlage zu leisten. Die Stärkung dieser kreativen Kräfte ist notwendig, aber auch das Bemühen, Männer mit in die Verantwortung einzubeziehen. Auch die kirchliche Entwicklungsarbeit hat zu positiven Ansätzen einer Förderung von Frauen und zu einer veränderten Zusammenarbeit zwischen Frauen und Männern geführt.

Internationale ökumenische Gemeinschaft umfaßt auch das Überdenken unserer Rolle als Kirche eines wohlhabenden Industrielandes im weltwirtschaftlichen Zusammenhang, ohne das wir der besonderen Situation von Frauen in Entwicklungsländern nicht ausreichend gerecht werden können. Wir müssen uns kritisch mit den bisherigen Leitbildern wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungen auseinandersetzen, die sich häufig als destruktiv erwiesen haben. Wir brauchen eine umfassende Sicht menschlicher Wirklichkeit und Modelle einer Technologieentwicklung und Produktivität, die nicht zerstörerisch sind. Notwendig ist, daß Arbeit in verschiedenen Bereichen – Landwirtschaft, Handwerk, Industriearbeit, Familienarbeit – neu bewertet wird, auch bei uns. Das bedeutet, daß Entwicklungspolitik und Entwicklungshilfe sich nicht auf Frauenförderung im bisherigen Sinne beschränken dürfen, sondern sich auf eine frauengerechte Ausgestaltung und auf einen neuen Entwicklungsbegriff hin ausrichten müssen. Die Ökumenische Dekade Kirchen in Solidarität mit den Frauen will diesen Umdenkungs- und Umgestaltungsprozeß des Miteinanders von Frauen und Männern fördern.

6. Herausforderungen und Perspektiven

Durch das Thema "Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche" sind wir alle als Mann und Frau betroffen. Wir sind in unserem Selbstverständnis in Frage gestellt und herausgefordert. Die hohe emotionale Besetzung und die biographische Prägung bestimmen die Auseinandersetzungen. Wo alte und neue Vorstellungen aufeinandertreffen, brechen Spannungen auf – sei es in ein und derselben Person, zwischen Mann und Frau oder innerhalb eines Geschlechts. Sie sollen nicht geleugnet, sondern benannt werden, um uns in diesem Prozeß (ver)handlungsfähig zu machen.

Kränkungen und Verletzungen werden subjektiv erfahren und müssen vom anderen in Verstand und Gefühl nachvollzogen werden. Das Ende der Geduld von Frauen führt zu einem Aufbruch, der oft andere bedrängt, die diesen Leidensdruck nicht erleben – ob es nun Männer oder Frauen sind. Das Ende der Geduld bedeutet lebendige Unruhe, aber auch wirkliche Ungeduld: lang aufgestaute Verletzungen und das Bewußtsein von der historischen Last entladen sich z.T. mit großer Aggressivität, die manche ängstigt, anderen ein Alibi für Verweigerung gibt.

Die Unruhe, von Frauen ausgehend, hat Männer und Frauen erfaßt. Mit der Veränderung weiblicher Lebensentwürfe stehen auch die männlichen in Frage. Um neue Gemeinschaft zu bewirken, bedarf es einer breiten Bündnispartnerschaft von Frauen und Männern. Wenn auch der Impuls von den Frauen ausgegangen ist, sind sich doch Männer und Frauen darin einig, daß es um Gerechtigkeit für Frauen und Männer geht und nicht um einseitige Zugeständnisse an Frauen.

Gerechtigkeit bedeutet hier, daß Unterschiede anerkannt und fruchtbar gemacht, Benachteiligungen aufgrund dieser Unterschiede aber vermieden werden. In einer Gemeinschaft von Frauen und Männern müssen beide ihre Gaben entwickeln und ausbauen können, die wegen der bisherigen Rollen- und Machtverteilung unterentwickelt geblieben oder unterdrückt worden sind. In einer solchen Gemeinschaft muß auch Arbeit neu verteilt werden: Familien-, Haus- und Erwerbsarbeit, leitende und dienende Arbeit, hauptberufliche und ehrenamtliche Mitarbeit. In einer gerechten Gemeinschaft müssen Männer angestammte Vorrechte aufgeben, sich auf die Veränderung von Strukturen einlassen und in der Auseinandersetzung mit Frauen neue Verhaltensweisen lernen.

Das Ziel, das wir anstreben, und unsere gesellschaftliche und kirchliche Wirklichkeit liegen noch weit auseinander. Deshalb müssen wir mutige Schritte tun.

Wirksame und anhaltende Veränderungen sind nur zu erwarten, wenn die Rechte, Ansprüche und Chancen der Frauen in Kirche und Gesellschaft in der Weise verstärkt werden, daß Frauen für eine Übergangszeit begünstigt werden, bis das zugunsten der Männer noch bestehende Ungleichgewicht beseitigt und eine neue, gerechte Balance im Verhältnis der Geschlechter zueinander gefunden ist.

Der Aufbruch zu einem neuen Verhältnis der Geschlechter zueinander birgt für alle die Gefahr, den eigenen nächsten Schritt zu verabsolutieren. Als Christen wissen wir, daß sich das Verhältnis von Männern und Frauen nur verändern kann, wenn wir uns der Gebrochenheit allen menschlichen Handelns bewußt sind. Wir bleiben angewiesen auf Liebe und Vergebung.

7. Praktische Schritte
Damit das Ziel der Gemeinschaft von Frauen und Männern nicht Utopie bleibt, müssen in Kirche und Gesellschaft Schritte zu seiner Verwirklichung getan werden.

7.1. Förderung theologischer Frauenforschung

Theologische Forschung und kirchliche Studienarbeit werden bis heute fast ausschließlich von Männern betrieben. Sie werden so von männlicher Sicht und Erfahrung bestimmt, daß Forschungsgegenstände und Bereiche, die sich auf Frauen beziehen, weitgehend ausgespart bleiben. Der Beitrag von Frauen in Verkündigung, kirchlichem Handeln und kirchlicher Lehre wird nicht erkennbar. Auch in der kirchlichen Sprache werden Frauen in der Regel nicht eigens benannt. In der Rede von Gott sind weibliche Elemente ausgeklammert.

Die Frauen, die theologische Frauenforschung ins Leben gerufen haben, haben diese Defizite benannt und die dahinterstehenden Strukturen als ungerecht bewußt gemacht. Sie arbeiten an Fragestellungen und Problemen, die bei der bisherigen männlichen Sichtweise unbeachtet blieben, z. B. an einer Rekonstruktion der Bedeutung der Frauen in den Anfängen des Christentums und in der Geschichte von Kirche und Theologie. Dabei werden unterschiedliche Akzente betont: Ein Teil der feministischen Wissenschaftlerinnen arbeitet vernachlässigte Themen des weiblichen Lebenszusammenhangs in allen theologischen Disziplinen mit Hilfe traditioneller wissenschaftlicher Methoden kritisch auf. Ein anderer Teil arbeitet an neuen Wissenschaftstheorien, die eine Kritik des Sexismus und Androzentrismus einschließen und klare Positionsbestimmungen zugunsten unterdrückter Menschen vornehmen. Diese Wissenschaftlerinnen stellen sich in den Zusammenhang der Befreiungstheologien und der zweiten Frauenbewegung. Da sich Frauenforscherinnen bisher kaum auf Planstellen in den Bildungseinrichtungen befinden, bisher auch keine Lehrstühle für theologische Frauenforschung an theologischen Fakultäten und kirchlichen Hochschulen bestehen, konnten Themen feministischer Theologie und neue Forschungsansätze an deutschen Universitäten kaum diskutiert werden. Wesentliche Beiträge zur theologischen Frauenforschung kommen bis heute aus den USA und den Niederlanden.

Die Veränderungen im Verhältnis der Geschlechter und deren gesellschaftliche Auswirkungen erfolgen in einer Weite und Schnelligkeit, die immer neue Orientierung erfordern, wenn es – auch in der Kirche – nicht zu verhängnisvollen Fehlentwicklungen kommen soll. im Zusammenhang mit anderen Sachthemen arbeitet die Kirche üblicherweise mit klaren Kriterien ethischer Urteilsbildung. Solche sollten auch für die Situation von Frauen zur Geltung gebracht werden.

In die theologische Forschungs- und Studienarbeit muß deshalb die Situation von Frauen aufgenommen und die Frauenperspektive einbezogen werden. Dabei sind die zahlreichen empirischen Untersuchungen zur Situation von Frauen in vielen gesellschaftlichen Bereichen zu berücksichtigen.

Eine gezielt an Frauen orientierte Bildungs- und Fortbildungsarbeit hat in den letzten Jahrzehnten begonnen. Die Nachfrage nach solchen Bildungsangeboten ist groß. Sie übersteigt allerdings oftmals die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, weil Frauen nur vereinzelt oder überhaupt nicht in den Kollegien der Evangelischen Akademien und Institute Planstellen innehaben. Hier wäre es wünschenswert, Frauen in größerem Umfang zur Mitarbeit heranzuziehen.

Die Synode hält es für notwendig, die Perspektive von Frauen in theologischer Forschung und Studienarbeit aller Disziplinen einzubeziehen sowie neue Ansätze theologischer Frauenforschung zu fördern.

Sie bittet, die Studieneinrichtungen der EKD (z.B. das Sozialwissenschaftliche Institut, das Konfessionskundliche Institut und die Evangelische Studiengemeinschaft (FESt)), begonnene Projekte weiterzuführen bzw. neue Vorhaben in Gang zu setzen. Insbesondere erscheint ihr eine Studie über ehrenamtliche Arbeit wichtig. Obwohl die Kirche grundlegend von ehrenamtlicher Arbeit lebt, gibt es bisher nur im säkularen Bereich neue Materialien und Untersuchungen über ehrenamtliche Arbeit, die geschlechtsspezifische Gesichtspunkte berücksichtigen.

Die Synode bittet den Rat der EKD,

  • dafür Sorge zu tragen, daß in der Studienarbeit von Kammern und Ausschüssen der EKD die Situation von Frauen im jeweiligen Zusammenhang eigens thematisiert wird;
  • einen Ausschuß zu berufen, der Vertreterinnen der theologischen Frauenforschung, Vertreter/innen der theologischen Ausbildungsstätten und der Kirchen umfaßt. Der Ausschuß soll ein Konzept vorlegen, wie die Frauenforschung in die Einrichtungen theologischer Forschung und Lehre integriert werden kann.

Die Synode bittet die Gliedkirchen, dafür Sorge zu tragen, daß die theologische Frauenforschung

  • in deren Aus- und Fortbildungsstätten (Fachhochschulen, kirchlichen Hochschulen, Predigerseminaren, Akademien, Zentren für Erwachsenenbildung), in den Ämtern, Werken und kirchlichen Einrichtungen (Diakonie) einen angemessenen Platz erhält;
  • durch Spezialvikariate, durch besondere Preis- und Prüfungsarbeiten, durch Promotionsstipendien und Auslandsaufenthalte angeregt wird,
  • im Kontakt und Kontext des ökumenischen, feministischen Forschungsfeldes geschehen kann.

Die Einbeziehung der Frauenperspektive in eine so beschriebene Studienarbeit ist grundsätzlich durch entsprechende Beteiligung von Frauen zu gewährleisten (7.3).

7.2. Hilfen für Frauen unter besonderen Belastungen

Schwierige Lebenslagen sind eine Herausforderung, die Gemeinschaft von Frauen und Männern zu bewähren. Frauen sind häufig von Notlagen besonders betroffen: Frauen, die allein erziehen; die Opfer körperlicher und seelischer Gewalt sind; Frauen, die in wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten durch Arbeitslosigkeit mittelbar oder unmittelbar betroffen sind oder in Altersarmut leben; Ausländerinnen.

85 % der Alleinerziehenden sind Frauen. Sie befinden sich häufig in einer wirtschaftlich schlechteren Situation als vollständige Familien. Von allen Familien, die Sozialhilfe beziehen, sind zwei Drittel Einelternfamilien. Sie haben größere Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden; 30 % von ihnen suchen vergeblich Erwerbsarbeit. In Kirchengemeinden fühlen sich Alleinerziehende isoliert. Es werden rasch Urteile gefällt und Schuld zugewiesen; im kirchlichen Bild der Familie und Ehe ist kein Platz für sie.

Körperliche und seelische Mißhandlung an Frauen und Mädchen müssen heute nicht mehr verschwiegen werden. Probleme der Gewalt an Frauen und Mädchen innerhalb und außerhalb der Familie werden auch öffentlich diskutiert. Dies ist gut. Aber es sollte in bezug auf konkrete Fälle in größter Diskretion geschehen. Die Ursachen dieser Gewalt sind nicht nur in individuellen, sondern auch in gesellschaftlichen Situationen zu suchen.

Die Kirche hat mißhandelte Frauen noch viel zu wenig im Blick. Von 180 Frauenhäusern in der Bundesrepublik bieten nur 10 Einrichtungen in evangelischer Trägerschaft Frauen und Mädchen Schutz vor Gewalt und sexuellem Mißbrauch. Da gerade für die Kirchen und ihre Diakonischen Werke die Einrichtung von Frauenhäusern weniger eine finanzielle und organisatorische Frage ist als z. B. für andere Trägervereine, weist die geringe Zahl evangelischer Einrichtungen darauf hin, daß hier ein Problem von der Kirche weitgehend verdrängt wird. Wir bitten um verstärkten Einsatz, insbesondere auch in Mittelstädten, in denen es bisher wenige oder keine Frauenhäuser gibt.

Besonders viele ältere Frauen sind von Armut betroffen. 2,5 Mio. Frauen über 60 Jahre leben in Armut, d.h. von Sozialhilfe oder Renten, die kaum über dem Sozialhilfesatz liegen. Nicht zu vergessen sind die Frauen, die sich aus Scham nicht hilfesuchend an das Sozialamt wenden.

Niedrige Lohngruppen führen zu niedrigen Renten. Die durchschnittliche Versicherungsrente von Frauen liegt heute um mehr als 50 % unter der von Männern. Frauen, die um der Familie willen auf Erwerbstätigkeit verzichten oder nur in sogenannten geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, die nicht der Renten- und Arbeitslosenversicherung unterliegen, haben im Alter oft nur eine sehr kleine Hinterbliebenenrente oder die Sozialhilfe für ihren Lebensunterhalt.

Neben den materiellen Sorgen bringt Armut für ältere Frauen die zusätzliche seelische Belastung, daß sie ihre Lebensleistung als Frau und Mutter nicht anerkannt sehen und sich als minderwertige Mitglieder der Gesellschaft erleben.

Ausländische Frauen können in die gleichen schwierigen Lebenslagen geraten wie deutsche Frauen, und sie brauchen dann die gleichen Hilfen. Viele haben aber noch große zusätzliche Probleme, weil sie nicht ausreichend gut deutsch sprechen können und die Kultur ihres Herkunftslandes ihnen ein selbständiges Handeln außerhalb der Familie nicht erlaubt. Die Spannungen zwischen unterschiedlichen Kulturen verunsichern nicht nur ihre Rolle als Frau, sondern auch als Mutter, wenn sie Erziehungsschwierigkeiten mit Kindern haben, die überwiegend in der Bundesrepublik aufgewachsen sind. Kommt noch hinzu, daß sie keine gesicherte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in der Bundesrepublik haben, bewältigen sie diese Anhäufung von Schwierigkeiten kaum mehr ohne Hilfe.

Diese beispielhaft genannten Probleme erfordern die Aufmerksamkeit und die Hilfe seitens der Gesellschaft und des Staates ebenso wie seitens der Kirche und ihrer Diakonie. Die Synode bittet daher die zuständigen staatlichen Stellen, an der Entschärfung der genannten sozialen Probleme zu arbeiten und entsprechende Initiativen zu unterstützen.

Bisherige Lösungsvorschläge berücksichtigen häufig nicht in ausreichendem Maße die unterschiedliche Benachteiligung von Männern und Frauen und gehen geschlechtsneutral vor. Die Synode weist darauf hin, daß die Orientierung an traditionellen Rollenbildern von Frauen und Männern weder der heutigen Situation auf dem Arbeitsmarkt noch der heutigen sozialen Problematik in der Gesellschaft ausreichend gerecht wird.

Die Synode bittet die Gliedkirchen und ihre Diakonie,

  • die evangelischen Beratungsdienste und Hilfsangebote für Frauen in Not finanziell und personell besser auszustatten;
  • den Ausbau der vorhandenen kirchlichen und diakonischen Arbeit mit Alleinerziehenden zu fördern;
  • die familienergänzende Betreuung und Erziehung von Kindern an die veränderten Bedürfnisse in den Familien anzupassen;
  • familienentlastende Dienste für Eltern behinderter Kinder zu schaffen;
  • für Mädchen und Frauen, die von Mißhandlungen und Gewalt betroffen sind, ein Seelsorge- und Beratungsangebot aufzubauen und mehr Zufluchtsstätten bereitzustellen;
  • die Dienste zur Unterstützung von Haushaltsführung und häuslicher Pflege im Alter auszubauen;
  • bei ihren Hilfsangeboten zu berücksichtigen, daß Betreuung und Begleitung ausländischer Frauen besonders zeitaufwendig ist, so daß es nicht mehr so oft zu Überforderungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommt. Um die sprachliche und kulturelle Verständigung zu verbessern, sollen evangelische Träger prüfen, wo sie ausländische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen können;
    Die Wahrnehmungsfähigkeit der Kirchengemeinden für Probleme von Frauen in schwierigen Lebenslagen in den Kirchengemeinden zu verbessern. Dafür sind Arbeitsmaterialien zur Verfügung zu stellen, und sachkundige und kontaktfähige Gemeindeglieder müssen auf ehrenamtliche Mitarbeit vorbereitet werden, um mit professionellen Fachdiensten zusammenarbeiten zu können.

Die Synode bittet das Diakonische Werk der EKD, die vorgenannten Aufgaben inhaltlich und organisatorisch zu unterstützen.

Die Synode bittet den Rat der EKD und die Gliedkirchen, bei kirchlichen Äußerungen zu sozialen Fragen die Erfahrungen und Lebenssituationen von Frauen einzubeziehen, indem sie diese bei der Erarbeitung in angemessener Weise beteiligen.

7.3 Frauenförderung in Kirche und Diakonie

Leben und Arbeit in der Kirche – in den Gemeinden, kirchlichen Werken und diakonischen Einrichtungen – werden in hohem Maße von Frauen gestaltet und getragen. Die Frauen überwiegen in den untergeordneten Funktionen, bei hauptamtlicher Tätigkeit in den unteren Vergütungsgruppen. Sie sind nur gering vertreten in den überörtlichen ehrenamtlichen Leitungsgremien sowie in hauptamtlichen Leitungsämtern. Die Verbesserung dieser Situation erfordert konkrete Schritte. Darum begrüßt die Synode der EKD, daß auf Betreiben von Frauen in der Mehrzahl der Gliedkirchen ein Umdenken über die Teilhabe von Frauen an Leitungsverantwortung beginnt.

Die Synode bekräftigt die Notwendigkeit folgender Maßnahmen und regt an:

Frauenförderungskonzept:

Die Bestrebungen zu mehr und verbesserten Chancen für Frauen in hauptamtlicher Tätigkeit sollen in Frauenförderungskonzepten zusammengefaßt werden, die konkrete Teilziele angeben und zeitliche Perspektiven, strukturelle Maßnahmen, rechtliche Regelungen und finanzielle Ressourcen zu ihrer Erreichung darlegen.

Die Synode bitte die Dienststellenleitungen mit der Mitarbeitervertretung unter Beteiligung der Frauenbeauftragten Frauenförderungskonzepte zu entwickeln und darüber Dienstvereinbarungen zu schließen.

In angemessener Zeit ist der jeweils zuständigen Stelle ein Bericht über die Anteile von Frauen und Männern auf allen Ebenen der Mitarbeiterschaft sowie über bisherige und zukünftige Bemühungen zu erstatten. Nach Ablauf von fünf Jahren ist ein Bericht zu geben, der auch einen Ausblick auf zukünftige Maßnahmen enthalten soll.

Familiengerechte Arbeitsbedingungen:

Die Synode begrüßt die Bemühungen der EKD, ihrer Gliedkirchen und der Diakonie um eine familiengerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen. Sie betreffen Fragen der Arbeitszeitverkürzung, Kriterien der Teilzeitarbeit und flexible Arbeitszeiten. Diese sind zu Recht auf Frauen und Männer ausgerichtet. Sie stellen zugleich eine unabdingbare Voraussetzung zur Steigerung des Anteils der Frauen als Pfarrerinnen, Beamtinnen, leitende Angestellte und Arbeitnehmerinnen dar. Über eine stärkere Beteiligung von Frauen durch Ämter auf Zeit und Rotation soll weiter nachgedacht und diskutiert werden.

Maßnahmen zur Reintegration in den Beruf nach mehrjähriger Beurlaubung oder nach vorübergehendem Ausscheiden:

Die Verstärkung der Mitarbeit von Frauen in hauptberuflicher Tätigkeit in Kirche und Diakonie muß folgende Faktoren berücksichtigen: Auch bei dem steigenden Anteil der erwerbstätigen verheirateten Frauen im Alter von 20 bis 50 Jahren (1963: 40 % aller verheirateten Frauen, 1982: 55 %) wählt eine beträchtliche Zahl die beamtenrechtlich mögliche Beurlaubung bzw. das Ausscheiden aus der außerhäuslichen Erwerbstätigkeit, wenn die familiären Verhältnisse dies erfordern (vor allem Pflege und Erziehung der Kinder, Pflege alter und behinderter Angehöriger) und sofern die finanziellen Verhältnisse der Familie es erlauben. Die Leistung dieser Frauen, die sich auf ihre Familienarbeit konzentrieren, darf weder in der Gesellschaft noch in der Kirche unterbewertet werden. Hierbei darf es nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben. Die Synode mahnt die Erfüllung der in der Studie "Die Frau in Familie, Kirche und Gesellschaft" erhobenen Forderung zur sozialen Sicherung der Familienarbeit an. Viele der Frauen, die sich vorübergehend der Familienarbeit widmen, nehmen die Erwerbstätigkeit nach mehrjähriger Pause wieder auf. Viele Arbeitsfelder in Kirche und Diakonie können gerade auf diese Kräfte mit Lebenserfahrung nicht verzichten. Die schnelle Weiterentwicklung in vielen Tätigkeitsfeldern erfordert jedoch, daß auch für diesen Personenkreis während der Pause geeignete Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen angeboten und die Teilnahme finanziell ermöglicht wird, um vorhandene berufliche Qualifikation zu erhalten bzw. auf einen aktuellen Stand zu bringen.

Die Altersgrenzen zur Aufnahme in kirchliche Ausbildungsstätten sollten überprüft werden, wie weit sie auch für Frauen nach der Phase der Kindererziehung geöffnet werden können.

Ehrenamtliche Mitarbeit in Kirche und Diakonie:

Kirchliche und diakonische Arbeit leben auch heute in hohem Maße von ehrenamtlicher, d. h. nicht bezahlter Mitarbeit, insbesondere der Frauen (80 %). Der (unbezahlte) zeitliche Aufwand ist oft mit einer Teilzeitbeschäftigung vergleichbar. Vor allem die persönlich oft hoch motivierten und engagierten Mitarbeiterinnen sind vielfältig benachteiligt: Sie erhalten wenig Hilfen zur Einarbeitung. Sie sind weithin an Entscheidungen nicht beteiligt, die ihr Arbeitsfeld betreffen. Zur Fortbildung wird selten ermutigt. Auslagen müssen sehr oft aus eigener Tasche bezahlt werden. Ihnen fehlt eine soziale Absicherung, die sie erhalten würden, wenn sie eine vergleichbare Stundenzahl erwerbstätig wären.

Kirchlich und gesellschaftlich notwendige unbezahlte Arbeit darf aber gegenüber der Erwerbstätigkeit nicht diskriminiert werden. Ehrenamtliche Mitarbeiterfinnen sind in geeignete Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen einzubeziehen; die Teilnahme ist finanziell zu ermöglichen. Bei einer ehrenamtlichen Tätigkeit ist eine angemessene Entschädigung für Ausgaben zu leisten, die durch diese Tätigkeit entstehen; dafür ist in den kirchlichen Haushalten Vorsorge zu treffen. Möglichkeiten einer besseren sozialrechtlichen Absicherung müssen gefunden werden, damit für mitarbeitsbereite Frauen die Alternative zwischen bezahlter Erwerbstätigkeit auf anderen Feldern und verantwortlicher gemeindlicher und diakonisch ehrenamtlicher Tätigkeit entschärft wird.

Die Zusammenarbeit zwischen den ehrenamtlich Tätigen und den Entscheidungsträgern ist zu überprüfen und strukturell zu verbessern, damit eine Mitwirkung der ehrenamtlich Tätigen an den Entscheidungen möglich ist.

Diakonat:

Frauen in diakonischen Schwesternschaften und Männer in diakonischen Bruderschaften werden gebeten, die Erfahrungen ihrer geistlichen Dienst- und Lebensgemeinschaften in die Kirche einzubringen. Die Dienstgemeinschaft von Frauen und Männern soll mehr als bisher – und über bestehende Gemeinschaften hinaus – in den Gemeinden unserer Kirche gelebt, verwurzelt und weiter entwickelt werden. Dabei ist an die Leitlinien zum Diakonat (von der Diakonischen Konferenz 1975 beschlossen) anzuknüpfen. Für die Synode soll der Ausschuß für Diakonie, Mission und Ökumene mit der Erarbeitung eines Konzepts für die Förderung und Errichtung des Diakonats beauftragt werden.

Frauenbeauftragte:

Die Verwirklichung der genannten Ziele und Maßnahmen erfordert institutionelle Vorgaben. Die Synode stellt dankbar fest, daß einige Gliedkirchen diese durch die Errichtung von Frauen–Referaten oder entsprechenden landeskirchlichen Stellen geschaffen haben.

Die Synode bittet den Rat der EKD, die Stelle einer Frauen-Beauftragten mit Querschnittfunktionen für den Bereich der Amts- und Dienststellen sowie die Einrichtungen und Institute der EKD einzurichten und beauftragt den Hauhaltsausschuß, für Stellenplan und Haushaltsplan die erforderlichen Beschlußvorlagen der Synode zu unterbreiten. Der Arbeitsauftrag der Frauen–Beauftragten soll umfassen:

        • Beteiligung und Anhörungsrecht bei Entscheidungen, die die Situation der Frauen in der Kirche berühren (Personalentwicklungsplanung, Fortbildung, Stellenbesetzung);
        • Anregung und Förderung gesamtkirchlicher Studienarbeit zu theologischen und kirchenstrukturellen Fragen aus der Gesamtthematik von Frauen und Männern in der Kirche;
        • Beobachtung und Vermittlung der gesellschaftlichen Entwicklungen in frauenrelevanten Themen;
        • Erarbeitung einer Bestandsaufnahme von Zahlen und Arbeitssituationen der bei Amts– und Dienststellen sowie den Einrichtungen und Institutionen der EKD beschäftigten Frauen;
        • Beteiligung an allen öffentlichen Verlautbarungen der EKD;
        • Ansprechpartnerin für die Mitarbeiterinnen;
        • Förderung der Beteiligung von Frauen in der hauptamtlichen Mitarbeit sowie in den ehrenamtlichen Gremien, Delegationen usw.;
        • Verbindung zu dem zuständigen Referat für evangelische Frauenverbände und zu den landeskirchlichen Frauen-Referaten ist zu pflegen.

Die Synode bittet den Rat der EKD, bei der nächsten Synodaltagung über den Stand der Stelleneinrichtung zu berichten.

Die Synode bittet den Diakonischen Rat, in der Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werkes eine entsprechende Stelle einzurichten.

Die Synode bittet die Vorstände des Evangelischen Missionswerkes und des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik, ein Frauenförderungskonzept für ihren Bereich zu entwickeln und die institutionellen Vorgaben für die Umsetzung in die Praxis zu leisten.

Berichtspflicht, Anhörungs- und Vortragsrecht der Frauen-Beauftragten bei Rat und Kirchenamt der EKD sowie Informationspflicht seitens der Referate und der Abteilungen des Kirchenamtes an die Frauen-Beauftragte sind zu ermöglichen.

Zusammensetzung von Leitungen und Organen:

Es ist anzustreben, daß in die Leitungs- und Beratungsgremien evangelischer Kirche Frauen und Männern in gleicher Zahl gewählt oder berufen werden.

Dies gilt auch für Dienststellen sowie die Einrichtungen und Werke im Bereich der EKD.

Auf dieses Ziel ist in Teilschritten in angemessenem zeitlichen Rahmen hinzuarbeiten.

Die Synode sieht einen Anteil von mindesten 40 % Frauen als Zielvorgabe an, die in zehn Jahren erreicht werden sollte.

Die Synode bittet die Gliedkirchen, bei der Wahl von Frauen und Männern zu Mitgliedern der EKD-Synode diese Zielvorgabe zu berücksichtigen. Sie bittet den Rat, bei Berufungen entsprechend zu verfahren.

Um die Zielvorgabe zu erreichen, bittet die Synode den Rat, die dafür notwendigen Regelungen für die Dienststellen und Werke der EKD zu treffen und den Gliedkirchen zu empfehlen, diese Regelungen für ihre Bereiche zu übernehmen.

7.4 Verbesserung der ökumenischen Zusammenarbeit

Die Synode sieht ihre Beschlüsse zur Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche als Beitrag der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Zielsetzung der Dekade an, Frauen auf allen Ebenen kirchlichen und gesellschaftlichen Lebens voll zu beteiligen.

Die Synode bittet die Gliedkirchen der EKD, sich diese Zielsetzung zu eigen zu machen und einen Aktionsplan für ihren Raum auszuarbeiten.

Die Synode begrüßt und unterstützt die Empfehlungen der Kammer der EKD für Kirchlichen Entwicklungsdienst, mit denen diese Kammer das Ergebnis ihrer Klausurtagung zur Rolle der Frau im Entwicklungsprozeß zusammengefaßt hat. Danach

  • soll sich die Kammer der EKD für Kirchlichen Entwicklungsdienst selbst dazu verpflichten, die Frauenperspektive bei ihren verschiedenen Arbeitsvorhaben jeweils besonders zu berücksichtigen und zur Geltung zu bringen;
  • sollen die verantwortlichen Gremien der Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst (AGKED) ein Schwerpunktprogramm Frauen und Entwicklung in die Wege leiten, das die Frauenperspektive in der praktischen Arbeit aller Stäbe der AGKED essentiell verankert; das schließt ein, daß bisherige Erfahrungen ausgewertet, der programmatische Dialog mit überseeischen Partnern intensiviert und die dafür nötigen Arbeitsstrukturen und personellen Kapazitäten langfristig abgesichert bzw. neu geschaffen werden;
  • soll der Anteil von Frauen in ökumenischen Gremien und Delegationen sowie in den Entscheidungsstrukturen der AGKED erhöht und eine gleiche Beteiligung von Frauen und Männern in diesen Gremien angestrebt werden.

Der Rat wird gebeten, der Synode alle zwei Jahre einen Bericht über den Stand der Bemühungen um Frauenförderung zu geben.

Bad Krozingen, den 10. November 1989

Der Präses der Synode
der Evangelischen Kirche in Deutschland
gez. Schmude