UNESCO

UN-Weltfrauenkonferenz

Blicke hinter die Chinesische Mauer

Bericht über die »verbotene« UN-Weltfrauenkonferenz, Peking 1995

von Erika Schuchardt

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(UH) Anläßlich der 4. Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen vom 4. bis 14. September 1995 in Peking traten 26000 Frauen aus aller Welt auf dem Forum der Nichtregierungsorganisationen in Huairou für Gleichstellung, Entwicklung, Frieden und Menschenrechte ein. 5000 Delegierte aus 185 UN-Mitgliedstaaten verhandelten auf der Regierungskonferenz über die Magna-Charta von Peking zur Überwindung der Haupthindernisse für die Verbesserung der Lage der Frauen. Prof. Dr. Erika Schuchardt, Mitglied des Deutschen Bundestages und Vizepräsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission, berichtet über ihre Eindrücke vor Ort und faßt die wichtigsten Ergebnisse der Mammutkonferenz zusammen.

Die Vereinten Nationen hatten nach schwie-rigen Verhandlungen der Frauenrechtskommission 1991 (damals noch in Wien, seit 1994 in New York) dem Wunsch der Asiaten entsprochen, nach den vorangegangenen Weltfrauenkonferenzen 1975 in Mexiko, 1980 in Kopenhagen (Halbzeit der Frauendekade), 1985 in Nairobi (Ende der Dekade), nun endlich für 1995 (gemäß dem UN-Beschluß über ein 10-Jahres-Intervall) Asien den Zuschlag zu geben und China mit der Ausstattung der Konferenz zu beauftragen. Daß das nach den gültigen Spielregeln der UN zu erfolgen hatte, war stillschweigende Übereinkunft. Dementsprechend sollten nach vierjähriger Vorbereitung auf allen nationalen und regionalen Ebenen nun auf der internationalen Ebene der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking die Nichtregierungsorganisationen (NGO) und die Regie-rungsdelegationen sowohl zeitgleich wie raum-nah gemeinsam miteinander tagen.

Chinesische Realität überraschte wenige Monate vor Konferenzbeginn mit einer er-schwerenden Zweiteilung: Das NGO-Forum wurde vom 30. August bis 14. September we-gen angeblicher baulicher Einsturzgefahr der ursprünglich geplanten zentral gelegenen Orga-nisationsorte nach Huairou, 53 Kilometer vom Zentrum entfernt, verlegt. Die Regierungskonferenz tagte vom 4. bis 14. September im abgeschotteten Pekinger Konferenzzentrum.

Im Dialog: Dalai Lama und Prof. Dr. Erika Schuchardt, Vizepräsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission.

Bei meiner Wahl zwischen einer regelmäßigen Teilnahme an den Beratungen der NGOs in Huairou und der Regierungsdelegation in Peking hatte ich mich für letzteres entschieden, weil dies mehr Informations- und Einwirkungsmöglichkeiten versprach, und daher als ständigen Aufenthaltsort Peking gewählt. Diese Entscheidung erwies sich angesichts des Gesamtverlaufs als richtig.

Forum der Nichtregierungsorganisationen

Das Forum der NGOs mit 26 000 Teilnehmern aus aller Welt litt bekanntlich darunter, daß es vom Hauptgeschehen entfernt stattfand und mit erheblichen organisatorischen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Dennoch kann man die ganz überwiegend negative Berichterstattung in den Medien nicht voll bestätigen. Richtig ist:

· Die Spielregeln der UN wurden nicht eingehalten.

· Die Bewohner der Region im Umkreis von 50 Kilometern waren ausgesperrt. Auf den somit verwaisten, gespenstig leeren Straßen war eine Geschwindigkeitsbegrenzung eingeführt worden, die fast zur Verdoppelung der Fahrtzeit zwischen Konferenzort und NGO-Forum führte; durchschnittlich mußten täglich drei bis vier Stunden für Hin- und Rückfahrt veranschlagt werden, die dem Dialog verlorengingen.

· Die Pressefreiheit wurde soweit einge-schränkt, daß die unabhängige renommierte »Earth Times«, die auf allen UN-Tagungen täglich berichtete, fünf Tage lang nicht erscheinen durfte, bis das Ultimatum des Herausgebers schließlich für den 4. September – zeitgleich mit der Eröffnung der Weltkonferenz – die Druckerlaubnis der ersten Ausgabe erzielte. Weiteren Zeitungen, z.B. »Scene«, wurden für die Zeit der Konferenzmonate die Arbeitsmöglichkeiten entzogen; sämtliche Hotels waren seitens der Regierung angewiesen worden, die besagte Zeitung weder auszulegen noch Anzeigen in Auftrag zu geben; weitere Beispiele gäbe es ungezählt.

· Die Versammlungs- und Redefreiheit wurde beschnitten; Pressekonferenzen, sowohl angesetzt in 5-Sterne-Hotels als auch unmittelbar vor Ort am NGO-Forumsplatz, wurden mehrheitlich unter Hinzuziehung der ›Sicherheit‹, als ›politische Versammlungen‹ verboten, Videoaufzeichnungen (z.B. der Exil-Tibetaner) während der Forumsveranstaltung beschlagnahmt, Workshops über Geburtenkontrolle von regierungstreuen Chinesen gesprengt usw., bis dem NGO-Komitee schließlich selbst der Kragen platzte und es jenes Ultimatum stellte, das dann zum Erfolg führte: In 24 Stunden seien die Hunderte von Sicherheitskräften – sie photographierten, filmten, störten – zu reduzieren, anderenfalls,würde das Forum für beendet erklärt.

· Kontakt mit der unmittelbaren Umgebung konnte nicht stattfinden; die umliegenden Anwohner hatten ein halbes Monatsgehalt erhalten mit der Auflage, ihre Wohnungen während der Zeit der Konferenz nicht zu verlassen.

· Profilierte Journalisten – darunter Dai Quing, die nach dernTianammen-Massaker zehn Monate im Gefängnis saß, ihren Job verlor und gegenwärtig nur im Westen oder in Taiwan publizieren kann – erhielten nach vertraulich persönlicher Aussage den ach so berühmten Anruf: »Können Sie ›Nein‹ sagen zum Gesprächswunsch der amerikanischen First Lady? – Wenn nicht, schlagen wir Ihnen vor, die Stadt sofort zu verlassen.« Dai Quing wollte nicht lügen, möchte weiter in China bleiben und natürlich irgendwann auch wieder in ihrer Heimat publizieren, also ›besuchte sie offiziell ihren Mann auf der Insel Haunao‹. Dai Quing ist nur eine von vielen, die ungenannt bleiben wollten, die ihr Land während der Dauer der Weltfrauenkonferenz verlassen mußten, ausgeschlossen wurden, weil ihre Regierung die Welt empfangen wollte.

· Die Rede von Hillary Clinton mit dem Aufruf »Frauenrechte sind Menschenrechte und umgekehrt« wurde in den Medien totgeschwiegen. »China Daily« würdigte sie nur mit einem lapidaren Satz. Als Berichterstatterin in Universitäten und anderen Institutionen wurde mir unmißverständlich von Ministerien bedeutet, es sei unerwünscht, das Gedankengut der Frauen-konferenz oder das Manuskript dieser Rede zu verbreiten. Anläßlich einer chinesisch-deutschen Hochschul-Forschungstagung im Goethe-Institut, besucht von hochrangigen Ministerienvertretern der Regierung in China, wurde mir ausdrücklich bedeutet, daß Unverständnis der Teilnehmer darüber signalisiert worden sei, von mir u.a. derartige Reden als Material ausgehändigt bekommen zu haben.

· Kontinuierlich hielten auch die Hinrichtungen – vor und während der Frauenkonferenz – an.

Andererseits entwickelte eine Zusammenkunft von über 26000 Frauen aus aller Welt ein starkes Eigengewicht, das sich sowohl auf die gesamten Konferenzdebatten als auch auf die öffentliche Diskussion über Frauenrechte und -befindlichkeiten auswirkte; überspitzt gesagt:

· Die Auswahl des Konferenzortes China hat – bitter erkauft – dem Anliegen der Frauen unbeabsichtigt geradezu genützt;

· die Verletzung der UN-Regeln hat zu ungewöhnlich breiter und vermehrter Medienöffentlichkeit und damit zur Thematisierung der Menschenrechtsverletzungen geführt;

· die Gültigkeit der UN-Regeln bedingte die Zulassung und Einreise von Menschenrechts-organisationen in China, die zum erstenmal auf chinesischem Boden Kritik an der Lage Chinas äußern konnten;

· die Verletzung von Rede-, Versammlungs- und Pressefreiheit hat nicht wenigen der 26 000 Teilnehrriern erstmalig eigene leidvolle Erfahrungen der Ohnmacht vermittelt;

· die Aussperrung sowohl der Bürger und Bür-gerinnen des Gastlandes als auch herausra-gender mutiger Persönlichkeiten – sogenannter Dissidenten – durch massive Sicherheitsmaßnahmen bzw. verordnetem Zwangsurlaub sowie teilweise Inhaftierung der Familienangehörigen hat das Bewußtsein zahlloser NGO-Teilnehmer für die Bedeutung der Menschenrechte nachhaltig gestärkt;

· nicht zuletzt wurde die Fragwürdigkeit sozia-listischer Gigantomanie mit Musik, Tanz, Akrobatik und Massenszenen gefügiger Marionetten deutlich offenbar; die nichtchinesi-schen Medien verzichteten auf eine Übertra-gung, ihr Interesse galt der Videoaufzeichnung einer Rede der burmesischen Friedens-nobelpreisträgerin Daw Aung San Sankikyi; sie wurde zum eigentlichen Auftakt des NGO-Forurns;

· das Bild Chinas hat Schaden genommen – nicht zuletzt auch das der UN –, aber die Sensibilisierung der beteiligten Teilnehmer, Behörden und Regierungen kann dazu beitragen, unnachgiebigen Mut und Ansporn wachsen zu lassen, um die Rechte von Frauen noch konsequenter einzufordem.

Ich hatte bei meinen Besuchen in Huairou Ge-legenheit zu Kontakten mit allen fünf regiona-len Gruppen – zum Teil waren jedoch deren Zelte unter den Regenmassen zusammengebrochen –, so daß zunächst schon die Auswahl, sodann das Aufsuchen der angekündigten 400 Workshops, Hearings, Plenarsitzungen nicht leicht zu bewältigen war. Besonders beeindruckend blieben die testamonies, die Frauen über erlittenes Unrecht – mißverständlich kaschiert bzw. definiert als »Kultur« – öffentlich ablegten; hier ließen sich unendliche Geschichten erzählen. Meines Erachtens bildeten sie das ei-gentliche Zentrum des NGO-Forums. Unverkennbar bedrohlich erwies sich dabei der wachsende Fundamentalisrnus. Eher erschrekkend gaben Frauen als Vertreterinnen des Islam, des Hinduismus, des Christentums davon Zeugnis. Dabei stand – ebenso wie anschliessend in der Regierungskonferenz – im Mittelpunkt erneut die Diskussion über wesentliche Begriffe und Themenbereiche, auf die sich die Staatengemeinschaft bereits auf der Wiener Menschenrechtskonferenz 1993 und ein Jahr später auf der Weltbevölkerungskonfernz in Kairo 1994 eigentlich schon geeinigt hatte.

Bei den von mir gesuchten Kontaktgesprächen habe ich jeweils die von der UNESCO in den Mittelpunkt gestellten Aspekte in den Vordergrund gerückt, auf die dazu eigens zur Weltkonferenz erarbeiteten Materialien aufmerksam gemacht und sie zur Verfügung gestellt:

· »Education for equality through education«,

· »Women’s contribution to a culture of peace«,

· »Towards a gender-inclusive culture through education«,

· »Women and the future«.

Andererseits ging es in diesen Gesprächen immer wieder um Erfahrungen und Erlebnisse in anderen Ländern, die ein Gesamtbild der Situation vermittelten.

Es gab einen UNESCO-Tag: »International Literacy Day including the UNESCO Literacy Price Award Ceremony in cooperation with other Agencies«. Die Materialien waren exzellent vorbereitet. Angesichts der Parallelität zahlloser Veranstaltungen war dieses Ereignis jedoch relativ schwach besucht. Generaldirektor Federico Mayor brachte eine engagierte Rede »Women's Empowerment – Women in power«. Er betonte, daß der mittelfristige Plan der UNESCO 1996 bis 2001 (28 C/4 und 28 C/5) geprägt sei durch »Genderperspective« in allen Bereichen und Aktionen. Die geplante Top-level-Consultation der UNESCO mit Nobel-Preisträgern zur Kultur des Friedens wurde wegen organisatorischer Schwierigkeiten abgesetzt.

Aus meiner Sicht bleibt es bedauerlich, daß die NGOs nicht ihrerseits eine gemeinsame Deklaration erstellten; so vermittelte das Forum den Anschein eines Marktes der Möglichkeiten, wirkte zerfranst in seinen Inhalten, verfahren in seinen Vorgehensweisen, zum Teil defensiv in seinen Vorschlägen.

Konferenz der Regierungsdelegationen

Über den Verlauf der offiziellen Konferenz der Regierungsdelegationen aus aller Welt hat die Presse ausführlich berichtet. Ich gebe daher nur einzelne Aspekte wieder. Der Schwerpunkt meiner Tätigkeit lag in der Mitwirkung an der Willensbildung in der deutschen Regierungsdelegation, an deren täglichen Zusammenkünften ich regelmäßig teilnehmen konnte. Dabei kamen mir meine Vorerfahrungen aus der Frauenrechtskommission und die Vorkenntnisse über Nairobi 1984, Wien 1993 und Kairo 1994 hier, wie auch im Rahmen der UNESCO, zugute.

Bekanntlich waren in den vergangenen Jahren in der UNESCO Ergebnisse, Verfahren und Vorschläge erarbeitet worden, wie sie sich in den einschlägigen Papieren dokumentierten und dann erneut in den Materialien für die 4. Weltfrauenkonferenz richtungsweisend Verwendung fanden. Eigene Erfahrungen, die ich durch zahlreiche Kontakte im Rahmen eines vor der Konferenz eingeschobenen zwölftägigen Aufenthaltes in China gewonnen hatte, konnte ich in verschiedenen Gesprächen mit offiziellen Konferenz-Teilnehmen einbringen. Dazu gehörten insbesondere:

· Notwendigkeit der Verstärkung des Austausches zwischen den Universitäten unter besonderer Berücksichtigung weiblicher Bewerberinnen gemäß der UN-Konvention von 1979. Mehrheitlich betonten die weiblichen Studierenden sowohl an Universitäten als auch in Institutionen ihre außerordentliche Benachteiligung sowohl bei der Stipendienvergabe als auch bei der Einstellung in Berufe auf hoher Entscheidungsebene.

· Vorschläge für Expertenaustausch zur Verbesserung der Grundbildung bisheriger Regierungsprogramme. Nach Aussage der Vizepräsidentin des Erziehungsministeriums, Prof. Dr. Yu Wei, – ehemalige Humboldtstipendiatin – können sie das Stadt-Land-Gefälle gegenwärtig noch nicht überwinden; erschwerend kommt hinzu die Ungleichstellung der Familien auf dem Lande mit zwei bis drei Kindern gegenüber der Einkindfamilie in den Städten, die über andere Finanzmittel, zum Beispiel für Schulgeldzahlung, verfügt. Auch das sogenannte »Hope-Program« (Stadtbürger sponsern Patenschaften für Landbürger) erweist sich nach Aussage der Erziehungsexpertin als reine »Propaganda«. So wächst die Zahl der Analphabeten und die Unbalance. Entsprechendes gilt für den Aufbau der Berufsbildung – ein Austauschprogramm ist geplant aufgrund einer anläßlich des Besuchs von Premierminister Li Peng am 4. Juli 1994 unterzeichneten »Gemeinsamen Erklärung« zur Förderung der Berufsbildung in der Volksrepublik China.

· Erfordernis des Aufbaus einer verstärkten Kommunikation zwischen Universitäten sowie zwischen Bibliotheken einschließlich Goethe-Instituten. Es war mir gelungen, alle Institutionen mit Materialien auszustatten, wobei mir deutlich wurde, daß an keinem Ort Materialen der Weltfrauenkonferenz verfügbar waren. Dabei wurde erschreckend erkennbar, daß in der Stadt Peking allein das Goethe-Institut über eine frei zugängliche, öffentliche Bibliothek verfügt, während für alle anderen Bibliotheken besondere Zulassungsbedingungen, schriftliche Anträge u.a. erforderlich sind.

»Frauenrechte als Menschenrechte - Menschenrechte als Frauenrechte«

Eine Gesamtberurteilung der Mammutkonferenz fällt schwer. Ich möchte es auf folgenden Nenner bringen: Die Magna-Charta von Peking ’95 hat – bitter erkämpft – dazu beigetragen, einerseits den Prozeß des Umdenkens »Frauenrechte als Menschenrechte und umgekehrt« in einem 150seitigen »Maßnahmenkatalog« zur Überwindung der Haupthindernisse für die Verbesserung der Lage der Frauen (in sechs Kapiteln mit 363 Paragraphen zur Maßnahmenempfehlung), ergänzt um eine 5seitige »Erklärung von Peking«, als grundsätzlich lösbar aufzuzeigen. Andererseits hat das Charakteristikum einer scheinbar ›verbotenen Weltfrauenkonferenz neben der »verbotenen Stadt« ein ungewolltes und ungeplantes »hidden-curriculum « hervorgebracht, das aus meiner Sicht nicht weniger wichtig war, nämlich das unmittelbare Erlebnis aller Konferenzteilnehmer von permanenten Menschenrechtsverletzungen im gesamten Konferenzverlauf.

Der allseitig befürchtete ›back lash‹ als Zurückschwingen des Pendels hinter frühere UN-Beschlüsse zu den Problembereichen Umwelt (Rio 92), Menschenrechte (Wien 93) und Bevölkerungsexplosion (Kairo 94) konnte erfolgreich vermieden werden.

Im Gegenteil: Die gemäßigt fortschrittliche Aktionsplattform verabschiedete erstmalig in einem Dokument der UN das »Postulat der sexuellen Selbstbestimmung der Frau«:

· Erstmals wurden in einem UN-Dokument die »sexuellen Rechte der Frau« (Recht auf Sexualerziehung, auf straffreie Abtreibung, auf Selbstbestimmung beim Sexualleben und bei der Familienplanung) verankert, und zwar in den Kapiteln über »Gesundheit« und über »Menschenrechte«. Allerdings wurden sie schon in der abschließenden ›Pekinger Erklärung‹ wieder nur noch an einer Stelle erwähnt. Bedauerlicherweise wurden sie überdies auch der Anlaß, daß nicht weniger als ein Fünftel der Teilnehmerstaaten unmittelbar nach ihrer Zustimmung zur Aktionsplattform religiöse und kulturelle Vorbehalte zu Protokoll gaben (römisch-katholisch dominierte lateinamerikanische Staaten und islamische Länder);

· erstmals wurden die verschiedenen »Formen der Gewalt« gegen Frauen inklusive deren Rolle als unfreiwillige Kriegsopfer umfassend aufgezählt und verurteilt; nie zuvor hatte es das in einer UN-Erklärung gegeben;

· erstmals wurde in einem UN-Dokument festgelegt, daß die »traditionelle Familie« nicht die einzig mögliche Form familiären Zusammenlebens sein kann;

· erstmals wurde festgeschrieben, daß für Mädchen/Frauen gleiche Erbrechte gelten;

· erstmals soll ›unbezahlte‹ Arbeit von Frauen in einer volkswirtschaftlichen ›Nebenrechnung‹ statistisch erhoben und angemessen ›bewertet‹ werden;

· die vielleicht wichtigste Errungenschaft sind die erstmals thematisierten »Mädchen-Postulate«, das heißt Verbesserung der Lage der Mädchen als Frauen von morgen (Verhinderung des systematischen Abtreibens und Tötens von weiblichen Föten und Säuglingen, Beseitigung der Diskriminierung von Mädchen bei der Ernährung zugunsten männlicher Erbfolger, Förderung der Sexualaufklärung, Aids-Prophylaxe, Verbot des Mädchenhandels).

Daß zur Erreichung dieses Zieles, nämlich der Übereinkunft von 189 Staaten über die Verabschiedung der Platform of action, die Industrieländer namentlich der Europäischen Union Konzessionen machen mußten, war unvermeidlich. Letztlich steht und fällt die Verwirklichung des Pekinger Programms mit der Bereitstellung von mehreren Dutzend Milliarden Dollar, die weder vorhanden noch verfügbar sind.

So endete die Tagung mit dem Resümee der Generalsekretärin Gertrud Mongella: »Mit der Verabschiedung derAktionsplattform hat die eigentliche Herausforderung erst begonnen«, und die norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland erklärte, die letzte UN-Studie zitierend: »Es gibt kein Land, in dem Frauen und Männer bereits gleiche Chancen hätten; aber Frauen werden die Rolle als ›Staatsbürger zweiter Klasse‹ nicht mehr akzeptieren«. Ebenso plädierte – informell – auch die Ministerin der Bundesrepublik Deutschland, Claudia Nolte, für eine regionale Nachfolgekonferenz »Gleichberechtigung, Teilhabe, Partizipation«. Das umreißt die Aufbruchstimmung von Peking, die noch einmal in dem Jugendtag ihren Ausdruck fand: »Die nächsten 50 Jahre gehören uns. Investiert in unsere Zukunft!«

Zur Umsetzung von Ergebnissen der 4. Weltfrauenkonferenz fand am 25. und 26. Januar 1996 in Leipzig eine Nachfolgekonferenz zum Thema »Frauen gestalten den Strukturwandel - Engagement von Frauen im technischen Bereich« statt. Sie stand unter der Schirmherrschaft der Deutschen UNESCO-Kommission und wurde von Prof. Dr. Erika Schuchardt und Dr. Ellen Sessar-Karpp geleitet. Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie hat die Konferenz gefördert.

Weitere Informationen beim Förderverein für soziale Projekte, Pfaffendorfer Straße 33, 04105 Leipzig,

Tel. (03 41) 59 37-4 82.