Christ-Sein

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Zu neuer Einheit finden

Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Lübeck-Travemünde 1990
(EKD-Bericht über die 7. Tagung der 7. Synode, S.92–94)

 

Stellungnahme zum Thema:

Zu neuer Einheit finden

 

Synodale Dr. Schuchardt: Herr Präses, Hohe Synode, liebe Gäste! Da ich nun ganz unerwartet nach der Rechtsfragendebatte mit der Aussprache zum Ratsbericht ohne Überleitung anfangen muß, möchte ich als erstes Ihnen, Herr Kruse, herzlich für diesen Bericht danken. Er war nicht nur aufschlußreich und anregend; für mich war auch Ihre Akzentsetzung sehr hilfreich.

Sodann komme ich zu Ihrer ersten Akzentsetzung – »Zu neuer Einheit finden«. – Ich bedanke mich dafür, daß dieses Kapitel an erster Stelle gestanden hat. Das ist für mich ein Stück Programm! Desgleichen auch Ihre Formulierung: »Zu neuer Einheit finden«, sie beinhaltet schon ein Stück Verheißung: »Suchet, so werdet ihr finden«.

Das Dritte, was mich heute morgen bewegt hat, war, daß vom Eingang bis zum Ausgang, von Engholms Grußwort bis zu Ihrem Ratsbericht, immer wieder Marksteine aufgezeigt wurden, wie denn dieser Suchweg konkret aussehen kann. Ministerpräsident Engholm sprach von Kirche als Friedensstifter und Unruhestifter aus der unstillbaren Leidenschaft zur neuen Einheit, und Sie erinnerten uns daran, daß es gerade Bonhoeffer war, der als höchsten Liebesdienst das Zuhören eines Christenmenschen bezeichnet hat. Sie sagten: Gott leiht uns sein Ohr. Wir erinnern uns an Hiob, der nach den Auseinanderstzungen mit seinen Freunden an diese appellierte: »Höret, höret doch meine Worte und laßt uns dies euer Trost sein!« Schließlich erinnere ich an Bodelschwingh, der zwischen Weihnachten und Silvester seine vier Kinder verlor. Er ließ mit seiner Frau eine Bank auf dem Friedhof aufstellen und sagte: »Wir müssen dort sitzen und zuhören, was Gott uns mit dem Verlust unserer vier Kinder sagen will« daraus erwuchs dann sein Aufbruch nach Bethel.

Ich habe darum gebeten, heute zu Ihnen sprechen zu dürfen, weil ich mit Ihnen teilen möchte, was ich aus drei Begegnungen nach der Wende in Erfurt, Dresden und Meißen mit Betroffenen gelernt habe, die mich gebeten haben, es Ihnen weiterzugeben. Zum Kontext darf ich sagen – Präses Schmude hat die Synodalbegegnung schon angesprochen –, daß einige Synodale nach der Wende die Gelegenheit zu Begegnungen wahrnehmen sollten; ich war an den Gesprächen in Erfurt beteiligt und habe mich gefreut, diese Gespräche danach in Dresden und Meißen fortsetzen zu können.

Damit komme ich zu den »Dresdner Herbstvorträgen«, die unter dem Thema standen: »Ein Jahr danach. Krise unserer Gesellschaft!« In der sehr gefüllten Annakirche gab es in ungeheizten Räumen Diskussionen bis Mitternacht. Anschließend durfte ich in der Evangelischen Akademie Meißen zu dem Thema »Krisen der Gesellschaft – Krisen im persönlichen Leben« mit über 100 Teilnehmern aus allen gesellschaftlichen Bereichen nachdenken.

Was habe ich gelernt? Zunächst, der Versuchung zu widerstehen, für die gesellschaftlichen Krisen dort eine Analyse aus westlicher Sicht vorzulegen, etwa ein Krisenverarbeitungsmodell, das sehr einfach wäre, nämlich zu sagen: Zunächst verleugnet man die Realität, dann folgt die Aggression auf die unerwünschte Realität, bevor man fähig wird, erneut und anders zu handeln.

Was wirklich passierte, war bewegend. Die Krise ist permanent existent, und die Betroffenen sagten massiv: »Ihr seid es doch gewesen! All die Jahre habt Ihr uns bei all Euren Besuchen gesagt: Was alles können wir im Westen von Euch lernen: Eure einzigartige Lebensgemeinschaft, Eure Kirchengemeinschaft; wenn es doch auch bei uns so lebendig wäre!« Ich mußte bekennen: Ich bin eine von denen gewesen, die jedes Jahr zwei–, dreimal auf den Tagungen in Herrnhut und, wo es auch war, immer wieder diese Sätze wiederholte. Wenn ich mich heute frage, warum man so etwas sagt und warum man es so oft wiederholt, muß ich eingestehen: weil man vielleicht nichts anderes zu sagen wußte.

Bei den Diskussionen in Dresden und Meißen folgte als zweiter Schritt, daß die Betroffenen sagen konnten: »Die Aggressivität, die wir Ihnen hier in der Vortragsdiskussion, hier in der Akademietagung zugemutet haben und die wir dem Westen gegenüber so stark empfinden, ist unsere Trauerarbeit. Das ist so schwer, weil wir jetzt die Verluste über die Lebensgemeinschaft und über die Kirchengemeinschaft entdecken. So wie sie einmal lebendig war, ist sie nicht mehr. Wir alle wissen um die absinkenden Kirchenbesucherzahlen und müssen erkennen, daß es vorher eine mehr oder weniger durch das Feindbild Staat geprägte Schicksalsgemeinschaft gegeben hat; aber eben nicht so echt, so dauerhaft lebendig, wie wir es bis jetzt geglaubt hatten.« Gleiches betrifft die Lebensgemeinschaft, diese Lebensgemeinschaft, die sich mehr und mehr als eine Zweckgemeinschaft herausgestellt hat. Es hieß darum etwa: »Wenn wir jetzt auch noch zulassen müssen, daß das, wofür wir 40 Jahre gelobt, anerkannt und als Partner gesucht worden sind, auch nicht mehr wahr ist –, wie können wir diese Aggression wegen des Verlustes gegen uns selber richten? Man kann die Krise, die Krankheit ja nicht angreifen, und darum greift man das an, was sich einem anbietet. Das sind in diesem Fall die Partner, insbesondere die aus dem Westen.«

Mir ist es wichtig zu sagen, jetzt müssen wir die notwendigen Schritte ergreifen und konstruktiv sagen: daß in all diesem der Aufbruch zur Demokratie sichtbar wird, der sich gerade darin zeigt, daß sich jetzt auch innerhalb der Kirche unterschiedliche Wege abzeichnen. Wir müssen den Mut haben, das zuzulassen. Das kann aber nur in Räumen geschehen, in denen man zur Begegnung Zeit hat, in denen man keine Angst hat, wieder verlassen zu werden. Meinen Studenten habe ich oft gesagt: »Aggression ist ein Zeichen von Liebesbeweis.« In einem Raum, in dem Aggressionen zugelassen werden, hat man die Sicherheit, angenommen zu sein, nicht weggeschickt zu werden, und die Gewißheit, daß der andere – was auch immer geschieht – bei einem bleibt. Daß wir uns Zeit nehmen – biblisch gesprochen – 7 mal 70 mal, Schritte aufeinanderzu zu tun, nahe zu sein, da zu sein, sich zu stellen, zuzuhören – ich möchte Sie bitten, das weiterzugeben. Der politische Rahmen ist gelegt, aber das Bild in diesem Rahmen müssen wir neu gemeinsam schaffen.

Als letztes möchte ich Ihnen das sagen, was ein Betroffener, ein Kollege aus Jena, sagte: »Wie soll ich mich Ihnen vorstellen? Mein Leben: Als die DDR gegründet wurde, begann ich meine Lehrtätigkeit an der Universität. Jetzt, da es die DDR nicht mehr gibt, ist mein Dienst zu Ende. Das ist mein Leben.«

Danke.

 


 

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Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Lübeck-Travemünde 1990
(EKD-Bericht über die 7. Tagung der 7. Synode, S.92–94)

 

Stellungnahme zum Thema:

Freiwilliges ökologisches Jahr »FÖJ«

 

Synodale Dr. Schuchardt: Da ich den Anfang machen darf, möchte ich Ihnen, Herr Holzapfel, herzlich für den umfassenden Bericht danken. Trotzdem ist es mir, da ich Ihre Arbeit kenne, so gegangen, daß ich bedauert habe, daß nicht die ganze Fülle und Anschaulichkeit – die Wahrheit ist ja bekanntlich immer konkret – in Ihrem Bereich Raum finden konnte. So möchte ich an einer Stelle, in einem Bereich, den ich überschaue, etwas ergänzen, nämlich in dem Bereich des ökologischen Lernens, den ich etwas näher kennengelernt habe. Ich würde mir für einen zukünftigen Bericht wünschen, daß Raum bleibt, über die Konzepte und Modelle, die Sie in der Praxis vor Ort entwickelt haben und von denen ich glaube, daß sie im Zusammenhang mit dem konziliaren Prozeß durch die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend so etwas wie eine Schrittmacherfunktion gewonnen haben, noch ausführlicher zu berichten.

Auch in der uns vorgelegten Langfassung umfaßt der hier angesprochene Bereich nur vier Seiten. Aus eigener Anschauung aber weiß ich, was die Modelle vor Ort geleistet haben. Es ist eben immer so: Man ist so involviert in die Praxis, daß die Zeit fehlt, sie zu reflektieren und sie an andere auch dokumentiert weiterzugeben. Aus eigenen Erfahrungen im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Begleitforschung zum sog. Freiwilligen Ökologischen Jahr weiß ich, daß seit Jahren Modelle in der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend vorliegen, die noch viel zu wenig bis in die einzelnen Gemeinden vorgedrungen sind.

Ich würde dafür jetzt gerne Beispiele nennen, denke aber, daß andere dazu auch etwas sagen möchten. Darum nur eines aus dem Bereich der Gesellschaftsdiakonie in Bremen, wo Jugendliche im FÖJ gesagt haben: »Dort ist es gelungen, daß man uns nicht nur zu der berühmten Bewußtseinserweiterung und zu verändertem Handeln geführt hat, sondern man hat uns auch zugemutet, uns mit uns selbst zu konfrontieren. Wir haben lernen müssen, selber Initiative zu ergreifen, und schließlich eine ganze ökologische Stadtplanung zu entwickeln und Veränderungen gemeinsam mit den beteiligten Diakonen einzuleiten.«

So würde ich mir einfach wünschen, daß es gelingen möge, diese Aktivitäten in Ihrem Bericht einzubinden. Ich möchte dazu noch ergänzen: Hier ist oft über die Freiwilligkeit gesprochen worden. Meines Erachtens liegen gerade im ökologischen Bereich – allein in Niedersachsen haben sich über 1.000 junge Menschen für ein Freiwilliges Ökologisches Jahr gemeldet – vielleicht neue Chancen, wenn es gelänge, das Freiwillige Soziale Jahr und das Freiwillige Ökologische Jahr miteinander zu verbinden; die durchaus vorhandenen Ressourcen an Freiwilligkeit, die sich jetzt aber möglicherweise auf andere Interessengebiete verlagern, könnten mit eingebunden werden. Sie wissen, daß dieses freiwillige Engagement im FÖJ ohne irgendwelche finanzielle oder soziale Absicherung geschieht. Also die Bitte, die Schrittmacherfunktion der aej der Synode zugänglich zu machen.